Antikapitalismus

Warum machen wir das überhaupt? „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. / Aber ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ (Erich Fried) – Bildung sollte zentrales Element antifaschistischer Arbeit sein!

Versuch einer Annäherung über die Definition von „Kapitalismus“:

Kapitalismus, der: „(…) Begriff für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das private Eigentum an den Produktionsmitteln (…) [,] das Prinzip der Gewinnmaximierung und die Steuerung der Wirtschaft über den Markt typisch sind. (…) Die Masse der Arbeiter ist überwiegend besitzlos und von den (…) wenigen Kapitalbesitzern (…) abhängig. (…) Der Begriff Kapitalismus beschreibt die heute existierende marktwirt-schaftliche Wirtschaftsordnung der westlichen Industrieländer nicht richtig, da der Kapitalismus in seiner reinen Ausprägung durch ausführliche Sozial- und Wirtschafts-gesetze seit Langem überholt ist.“ (nach Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 26)

Sowohl das als „Kapitalismus“ bezeichnete System als auch sein scheinbar diametrales Gegenstück der „Anti-Kapitalismus“ sind stark konnotiert, ideologisch aufgeladen, vielfach (um-)gedeutet und andauernd diskutiert. Wie also kann man sich den Themenkom-plex (Anti-)Kapitalismus, zumal aus einer selbstverstandenen linken Perspektive, erschließen, in Kürze aufbereiten und auf seine wesentlichen Inhalte und Merkmale herunterbrechen?

Generell können wir die Annahme treffen, dass der Begriff Antikapitalismus vorerst all die Menschen meint, die das Gefühl haben, dass ein Großteil des Leidens auf der Welt durch das umspannende Sozial- und Wirtschaftssystem des Kapitalismus verursacht wird (Adamovsky, 2007). Antikapitalismus kann dabei viele Formen annehmen und findet sich bei Sozialist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, Femnist*innen, aber auch zunehmend in der sog. „Neuen Rechten“ (Körner, 2006). Wie bereits angedeutet, fassen wir unter dem Begriff des „Kapitalismus“ vorerst ein Gesellschaftssystem, d.h. die (historisch) bedingte Struktur und soziale Organisationsform aller zwischenmenschlichen Ver-hältnisse, geprägt durch das wechselseitige Handeln der Individuen, welche reziprok das Miteinander regulieren und ordnen sowie Handlungsorientierung bieten (Huinink & Schröder, 2008). Wir treffen hierbei die Annahme, dass eine kapitalistische Gesellschaft in erster Linie eine unterdrückende sei, da (soziale, politische, ökonomische…) Macht in diesem System ungleich verteilt ist. Genauer gehen wir davon aus, dass Unterdrückung im Kapitalismus über Klassen funktioniert, es also in unserer Gesellschaft Menschen gibt, denen durch Institutionen, Normen, der Historie oder konkret durch ihre Funktion oder ihrem Amt Macht verliehen wird, die es ihnen ermöglicht, über andere zu herrschen. Oftmals verbindet sich diese Klassenunterdrückung mit weiteren Formen, bspw. Sexismus, Antisemitismus oder Rassismus. Dieses System reproduziert sich im zeitlichen Verlauf beständig selbst, wobei die Besonderheit der kapitalistischen Unterdrückung in ihrer selbstreferentiellen Begründungsstruktur liegt, die in erster Linie auf ökonomischen Unterschieden fußt. Kapitalistische Systeme gliedern sich im klassischen Verständnis in die schon angesprochenen Klassen, die sich nach Besitzverhältnissen bzw. ökonomischer Stellung konstituieren. Kern kapitalistisch verfasster Systeme ist ein Dreiklang aus Lohnarbeit, Preisen und Profiten, was bedeutet, dass es im selben Atemzug einen anhaltenden als solchen wahrgenommen Mangel geben muss, damit es einen Anreiz zu Lohnarbeit gibt, damit Einzelne Profite erwirtschaften können, damit Preise künstlich hoch bleiben (Buttenmüller, 2017).

Wir wollen uns hier aber verstärkt alternativen, in erster Linie eben antikapitalistischen Ansätzen zuwenden. Zu Gute kommt uns hierbei, dass die Widersprüche schon grundlegend im Kapitalismus angelegt sind, ihm inhärent ist beinahe zwangsläufig der viel zitierte Klassenkampf. Die als wirtschaftliche „Freiheit“ getarnte Ausbeutung bedeutet für viele Menschen eben auch, dass sie nicht mehr autonom und selbstbestimmt entscheiden können, wo und vor allem wie sie leben wollen, was sie in ihrem Alltag tun möchten und wie sie ihre Zukunft gestalten möchten. Klassenkampf heißt für uns also das beständige Ringen zwischen Unterdrückung und Widerstand, zwischen Unterdrückern und Unter-drückten („Klassenkampf ist der Motor der Geschichte“ – K. Marx), dass parallel das kapitalistische System zwingt sich andauernd neu zu erfinden und anzupassen. Oftmals geschieht dies über eine doppelte, d.h. sowohl eine äußere (imperialistische) wie auch eine innere (Produkterweiterung) Expansion. Das andauernde und anhaltende Wachstum ist tatsächlich essentiell, um sich beständig neue „Märkte“ zu erschließen und gleichzeitig neue Arbeiter*innenmassen zu ‚produzieren‘, die sich einerseits von ihrem persönlichen Konsum sozialen Aufstieg und Zufriedenheit erhoffen, andererseits bereit sind, zu Dum-ping-Preisen für das System zu arbeiten.

Die Rolle des Staates im Kapitalismus ist umstritten, schwankt je nach Sichtweise und Verständnis zwischen neutral, unterstützend und widerstrebend, er soll daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden (Demokratiedebatte); bei Marx eher Skepsis (“Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet.”), für viele Antifa-Gruppen ist der Staat bzw. seine Herrschaft eher negativ konnotiert, und wird häufig auf eine verhältnissichernde Rolle reduziert (AAB-Nbg, 2020). Hieran anknüpfend, wäre auch eine Diskussion um den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus denkbar („Wer also vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ – M. Horkheimer).

Zusammenfassend müssen wir also feststellend, dass die Ideologie des Kapitalismus sich im alltäglichen Individualismus, in der Entfremdung des Menschen von sich selbst, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen sowie in Erfolgskult, Konsumdenken, Warenförmigkeit und Produktfetisch, in Konformismus und Passivität manifestiert und hierbei sämtli-che Bereiche des Miteinanders, des Lebens und des Denkens infiltriert hat. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und autoritäre Machtstrukturen sind nur einige Beispiele für seine gesellschaftsverändernde Wirkung (AAB-Nbg, 2020) Die meisten Menschen haben seine Grundprinzipien längst internalisiert und halten sie für alternativlos, das System des Kapitalismus ist somit total.

Antikapitalistische Haltungen sind aber mindestens ebenso alt wie der Kapitalismus selbst, seine Wurzeln lassen sich im Humanismus und in der Aufklärung sowie im Rahmen der französischen Revolution von 1789 finden, beschäftigten sich damals aber in erster Linie mit philosophischen Gedanken zur Freiheit des Menschen (Rousseau) sowie mit Alternativen zu damals vorherrschenden Monarchien (Diderot). Antikapitalismus im „modernen“ Verständnis findet sich daran anknüpfend in früh-sozialistischen Schriften, die eine gesellschaftliche Organisation fernab von Unterdrückung suchten und in erster Linie durch Erfahrungen mit (früh-)industrieller Arbeit geprägt waren. Hier könnte man nun mit einer kurzen Geschichte des Sozialismus fortsetzen, aufgrund der Kürze der Zeit wenden wir uns aber vorerst der Moderne zu und ‚überspringen‘ einige Jahrhunderte. Nach Buttenmüller (2017) bedeutet Antikapitalismus im eigentlichen Sinne grundlegend das Ersetzen des Systems aus Löhnen, Preisen und Profiten durch ein Anderes, dass für den Menschen und nicht für den „Markt“ produziert, also eine Produktion, deren Erzeugnisse sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher*innen beziehen und die eben nicht durch Zwang hergestellt worden. Für ihn geht es also in erster Linie lediglich um eine wirtschaftliche Alternative, der gesellschaftliche Anspruch des Kapitalismus wird dabei negiert. Die rein ökonomische Herangehensweise ist sicherlich auch eine notwendige, aber keine alleinig Hinreichende, im Gegenteil: Hier liegt sogar eine ganz besondere Gefahr. An ebensolche Annahmen knüpfend zunehmend Rechte jeglicher Couleur an und versuchen einen „Anti-Kapitalismus von Rechts“ zu prägen, der in erster Linie Kapitalismus als kulturellen und sozialen „Verfall“ bewertet und ihm einen „deutschen Sozialismus“ entgegenstellt, der „national“ und somit gegenläufig zu Globalisierungstendenzen sei. Kernausdrücke sind hier die Unterteilung in sog. „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital. (Heine, 2007).

Der Vormarsch des Kapitalismus scheint oftmals unaufhaltsam, viele Länder folgen neo-liberalen, vulgo: kapitalistischen, Theorien und bauen Wohlfahrtsstaaten, bei einer gleichzeitigen Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmer*innen, ab. Ihren ideologi-schen Tiefpunkt finden anti-kapitalistischen Annahmen in Fukuyamas „Ende der Geschichte“ (1992) nach dem Zusammenbruch real-sozialistischer Alternativsysteme und seiner Annahme, dass der Kapitalismus das Beste aller möglichen Systeme darstellt.

Aus heutiger Sicht können wir allerdings guten Gewissens behaupten: der Kapitalismus kann niemals sozial sein und er kann auch niemals nachhaltig sein. Er produziert nicht für den Menschen, er produziert für den Markt und für Profit. Der Mensch arbeitet hierbei nicht mit- sondern gegeneinander. Ansätze zu Alternativen aber können wir jetzt schon in unserem Alltag sehen: in Umsonst-Läden, in einer solidarischen Ökonomie und in einer geteilten und gelebten Solidarität, die es schafft, sich einer systeminhärenten Verwertungslogik zu entziehen und sich den Regularien des Marktes eben nicht unterwirft, sondern sie im Gegenteil aktiv in Frage stellt.

Antikapitalismus bedeutet erneut den Kampf um die Befreiung des Menschen zu wagen und der Spaltung der Gesellschaft entgegen zu treten.

Literatur:

Adamovsky, E. (2007): „Antikapitalismus für Alle: Die neue Generation emanzipatorischer Bewegungen“. Berlin: Karl-Dietz Verlag.

Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg (2020): „Wo immer sie versuchen sich zusammenzurotten, be-kommen sie Ärger.“ In: Autonomie Magazin, Ausgabe 02/20

Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bun-deszentrale für Politische Bildung

Buttenmüller, S. (2017): „Eine Begriffsbestimmung: Wer ist Antikapitalist?“. In: Scharf Links – die neue linke Online-Zeitung, Online-Ressource: http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=61736&cHash=3841120537 (zuletzt abgerufen am 17.02.20) Heine, T. (2007): „Antikapitalismus von Rechts: NPD und Kameradschaften haben die Kapitalismuskritik für sich entdeckt“. In:. ak – analyse&kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, No. 515

Huinink, J. & Schröder, T. (2008): „Sozialstruktur Deutschlands“. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft

Hutter, R. (2011): „Debatte Begriffsdefinition: Antikapitalismus“. In: taz – die Tageszeitung, Online-Res-source: https://taz.de/Debatte-Begriffsdefinition/!5128052/ (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Körner, F. (2006): „Antikapitalismus von Rechts?“. Antifaschistisches Info-Blatt. Online-Ressource: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/antikapitalismus-von-rechts (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Zitelmann, R. (2019): „Die Renaissance des Antikapitalismus“. In: The European – Das Debatten-Mag

Corona-Virus, Kapitalismus und Krise: Versuch einer Einordnung


Durch den Kapitalismus werden Probleme der Corona-Krise ungerecht verteilt, sozial schwache Menschen trifft sie am stärksten. Außerdem werden durch die Fokussierung auf Profit und Effizienz sowie den Erhalt der Wirtschaft Maßnahmen gegen das Virus erschwert. Im Vordergrund stehen nicht Gemeinwohl und Bedürfnisse des Einzelnen, sondern die Erhaltung des Kapitals. Die momentane Krise zeigt uns, dass wir nur wenn wir den Kapitalinteressen den Rücken kehren und in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien einstehen, ein gutes Leben für alle erreichen können.

Mit den folgenden Thesen wollen wir Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Politik der letzten Jahre geben.


  1. Die Krise trifft die am stärksten, die am wenigsten haben:

    Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Die Betriebe müssen also die Produktion zurückfahren, Menschen werden entlassen. Dabei sind Menschen ohne feste Anstellung wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende und Saisonarbeiter*innen als erstes betroffen.

  2. Logische Maßnahmen gegen das Corona-Virus sind nicht für alle möglich:

    Menschen können ihre Arbeit nicht einstellen und sich zuhause isolieren, da sie ihr Einkommen zum Überleben benötigen. Denn nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen.

  3. Durch Privatisierung und Zwang für wirtschaftliche Effizienz wurde an medizinischer Versorgung gespart:

    Chronische Unterbesetzung in der Pflege wegen schlechter Bezahlung und fehlendem Pflegeschlüssel, Schließung kleiner Krankenhäuser besonders in ländlichen Regionen wegen wirtschaftlicher Ineffizienz und die Finanzierung der Krankenhäuser nach einer Fallpauschale erschweren die Bekämpfung des Virus.

  4. Profitorientiertes Gesundheitssystem erschwerte die Vorbereitung auf Ausnahmesituationen:

    Mit der Fallpauschale erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale pro behandeltem Menschen, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Es wird also eine möglichst hohe Fallzahl mit möglichst geringer Liegedauer angestrebt, die Kosten werden so gering wie möglich gehalten. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.

  5. Die meisten Erkrankungen der letzten Jahre wie Vogel- und Schweinegrippe, Ebola, Sars und auch Corona sind nach UN-Landwirtschaftsorganisation FAO vom Tier auf den Menschen übergesprungen:

    Der weltweit extreme Profitdruck ist Auslöser für auch hierzulande prekäre Bedingungen in der Tierhaltung. Selten entsorgte Exkremente und ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben sowie mangelnde veterinärmedizinische Betreuung bieten den perfekten Nährboden für Krankheiten. Die Viren springen schnell von Tier zu Tier und somit von Betrieb zu Betrieb wobei sie selten entdeckt werden.

  6. Ohne Umdenken werden immer wieder neue zoonotische Erkrankungen entstehen:

    Das System hält die Nachfrage an tierischen Produkten hoch, um den Profit zu maximieren. Unterstützt wird es dabei durch geringe staatliche Kontrolle, niedrige Bedingungen für die Nutztierhaltung sowie Verbraucher*innen, die ihr Verhalten nicht ändern.

  7. Verhalten wie Hamsterkäufe zeigen den verinnerlichten Egoismus im Kapitalismus:

    Im kapitalistischem System gilt Leistung und Profitmaximierung als Überlebensversicherung. Die Konkurrenz ist groß, jeder sorgt zuerst für seinen eigenen Bedarf. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Dieses Konkurrenzdenken breitet sich auf alle Lebensbereiche aus, Musik verliert ihren Selbstzweck und wird zum Geschäftsmodell und der menschliche Körper wird zur Werbetafel. Die Hauptsache ist und bleibt der eigene Vorteil, auch beim Kaufen von Klopapier.

Corona-Virus, Kapitalismus und Krise Versuch einer Einordnung

Mit den folgenden Texten wollen wir, unserem Selbstverständnis linker Theoriearbeit folgend, einen kurzen Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Austeritätspolitik der letzten Jahre geben. Egal ob Spiegel, Taz, Freitag, FAZ oder gar Welt: die Medien kennen nur noch ein Thema: das Sars-CoV-2-Virus und die dadurch ausgelöste Covid-19 genannte Krankheit. Neben ständigen Sachstandsmeldung der noch so kleinsten Veränderung dominiert vor allem ein Ressort: die Wirtschaft! Wie arbeite ich am Effektivsten von zu Hause aus? Wie halte ich die Kinder beschäftigt, damit ich so viel Zeit wie möglich für meinen Job habe? Im Fokus steht hier, altbekannt, aber dadurch nicht weniger tragisch, nicht der Mensch oder das Menschliche, sondern nach wie vor die Frage nach Warenförmigkeit, Systemanpassung und anhaltender Kapitalakkumulation. Das Nicht-Reagieren supranationaler Organisation und Verbände, die schwindende bis fehlende Solidarität von Nationalstaaten untereinander und der kontinuierliche Rückbau von Grundrechten bei Wiederaufbau von klaren Grenzen gerät dabei immer mehr ins Hintertreffen. Unsere Texte erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch können sich Fakten, die wir hier erwähnen, im Moment des Lesens schon wieder verändert haben: zu schnelllebig ist die aktuelle Lage, um sämtliche Aspekte konsequent abdecken zu können. Liefern wollen wir viel eher einen Blick für die größeren Zusammenhänge sowie Denkanstöße geben, wie eine andere solidarische Gemeinschaft ausschauen könnte. Es entbehrt leider einer gewissen Ironie nicht, dass unser erster Anknüpfungspunkt auch hier das bestehende Wirtschaftssystem darstellt, und so wollen wir auch beginnen mit einer Einlassung zu den Widersprüchen vom Kapitalismus in der Krise.

Folgen der Corona-Krise: Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche


Die globale Ausbreitung des Coronavirus hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen.

Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Vereinfacht bedeutet dies, dass Betriebe wegen der beiden Entwicklungen ihre Produktion zurückfahren müssen und damit Menschen auf lange Sicht entlassen werden.
Die ersten Betroffenen sind Menschen ohne feste Anstellungen wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende, Saisonarbeiter*innen. Diese werden direkt entlassen oder werden bei Honorarbezahlungen nicht mehr gebucht. Menschen, die sowieso schon wenig haben, werden mit existenziellen Fragen konfrontiert.

Und auch wenn Niemandem aufgrund der Krise die Wohnung gekündigt werden soll, gilt weiterhin: nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen. In Krisensituationen wird dieses Prinzip deutlich spürbar. Wie stark die Konsequenzen für jede*n Einzelne*n sein werden, kann noch niemand genau sagen. Doch eine Sache ist sicher: die nächste Wirtschaftskrise steht somit bereits vor der Haustür.

Dabei könnte doch alles so einfach sein! Logisch wäre es doch, wenn möglichst alle Menschen ihre Arbeit einstellen, soziale Kontakte zurückfahren und der Virus sich langsam ausbreitet, sodass die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Ausgenommen vom Arbeitsstopp wären die Menschen, die Nahrungsmittel produzieren oder im Gesundheitssystem arbeiten. Haben ca. 70% der Bevölkerung die Erkrankung überstanden und dadurch eine Immunität ausgebildet, wäre der ganze Spuk vorbei. Alle gehen danach wie gewohnt zur Arbeit und das Leben geht weiter. In einer Gesellschaft, die sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen der Einzelnen orientiert, wäre dieses Vorgehen möglich. Leider ist es in einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft nicht so einfach. Ist der Virus überstanden sind die wirtschaftlichen Probleme noch lange nicht vorbei!

Um zu erklären, warum das so ist, wird es etwas komplizierter. Unternehmen ohne Einnahmen müssen weiterhin Miete für ihre Gebäude zahlen. Außerdem sind sie verpflichtet Zinsen für ihre Anleihen zu zahlen, d.h. Abgaben an ihre Kapitalgeber*innen zu leisten. Dieses Problem berührt den Kern des kapitalistischen Systems. Die Wertschöpfung wird weitergegeben. Vermieter und Banken ziehen Miete und Zinsen von Unternehmen ab, die wiederum den Mehrwert aus der Arbeit gewinnen. Der Mehrwert ist die Grundlage der Kapitalakkumulation. Fällt die Wertschöpfung weg, so gerät das System ins Stocken. Firmen gehen Bankrott und ein Großteil der Produktivkraft geht verloren. Zur Erhaltung des Systems kommt jetzt der Staat ins Spiel. Dieser hat die Möglichkeit größere Konzerne vor dem Bankrott zu retten. Durch die Vergabe wirtschaftlicher Finanzspritzen wird die Wertschöpfung wieder in Gang gesetzt. Leidtragende bleiben dabei die Arbeiter*innen, sie haben durch die fehlenden Rücklagen und prekären Beschäftigungen kaum Schutz vor der Krise und außerhalb der Krise wird ihnen gerade so viel zugestanden, wie gesellschaftlich zur Reproduktion notwendig ist.


Für uns ist klar. Die Folgen der Corona-Pandemie machen den Wahnsinn und die Irrationalität unseres Wirtschaftssystems deutlich. Der Kapitalismus ist die Krise!

Was der aktuelle Ausnahmezustand für das Pflegepersonal in vielen Ländern der Welt bedeutet, kann man momentan gut an, in den sozialen Medien tausendfach geteilten, Artikeln zum Umgang mit ebenjenem beobachten: da werden Krankenschwestern bespuckt, da stehen Ärztinnen vor leeren Regalen, weil sie nach einer 12-Stunden Schicht nur noch am späten Abend einkaufen können. Daher möchten wir im folgenden Text einen Blick auf das Gesundheitssystem und seine Lage werfen.

Probleme des Gesundheitssystems anhand der momentanen Krise

Mit dem Ausbruch des Coronavirus werden uns die Grenzen unseres profitorientierten Gesundheitssystems aufgezeigt. Wir alle werden angehalten uns in Isolation zu begeben, solange es nicht doch einen Konflikt mit der kapitalistischen Wertschöpfungskette gibt, um die Versorgung der Erkrankten nicht mit zu vielen Infizierten gleichzeitig zu überlasten. Eine Katastrophe mit Ankündigung! Jahre-, wenn nicht jahrzehntelang, wurde durch die Privatisierung und Ausrichtung auf maximale wirtschaftliche Effizienz an allen Ecken und Enden unserer medizinischen Gesundheitsversorgung gespart und es fand und findet kaum eine Orientierung an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen statt.

Pfleger*innen schreien seit Jahren nach Aufmerksamkeit für ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die Auswirkungen dieser auf die Versorgung der Patient*innen. Durch schlechte Bezahlung und keine festen Pflegeschlüssel von Pfleger*in zu Patient*in gibt es in deutschen Krankenhäusern eine mittlerweile chronische Unterbesetzung. Die Politik begegnet dem gekonnt mit Ignoranz oder Worthülsen und leeren Versprechungen, anstatt den Fachkräftemangel auf diesem Gebiet zum Wohle aller mit angemessen Löhnen und verbesserter Ausstattung zu bekämpfen. Des Weiteren sehen wir uns in Deutschland einem regelrechten Krankenhausschließungswahn gegenüber. Kleinere Krankenhäuser, besonders in ländlichen Gebieten, wurden aufgrund geringer Wirtschaftlichkeit reihenweise geschlossen oder sollen es den Plänen neoliberaler Thinktanks nach lieber heute als morgen tun. Dabei werden so Kapazitäten abgebaut, die wir nicht nur in Fällen wie dem Jetzigen dringend benötigen, sondern auch sonst für eine flächendeckende, menschenorientierte Krankenversorgung. Die Einsparungen auf dem Rücken der überwiegend dort arbeitenden Menschen, sowie uns allen, potenziellen Patient*innen, kommen zum großen Teil aus dem Zwang möglichst wirtschaftlich effizient handeln zu müssen. Besonders bei dem immer größer werdenden Anteil privater Krankenhäuser stehen Gewinne für private Eigentümer an oberster Stelle. Hinzu kommt die Finanzierung der Krankenhäuser auf Grundlage des Fallpauschalen-Systems. Pro behandelten Menschen erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Dies gilt vor allem bei behandlungs- und pflegeintensiven Patient*innen und hat zur Folge, dass zum einen Verkürzung der Liegedauer bei möglichst hoher Fallzahl angestrebt wird und zum zweiten Kosten in allen Bereich möglichst gedrückt werden. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.

Haben wir uns als Gesellschaft in der Vergangenheit zu wenig mit diesen Thematiken beschäftigt, geschweige denn den Regierenden unseres Landes klargemacht, welche Prioritäten wir bei der Gestaltung unseres Gesundheitssystems bevorzugt wissen wollen, so sehen wir uns jetzt im Angesicht der Corona-Pandemie einem im Neoliberalismus gediehenem System gegenüber was uns Angst macht und uns Teile unserer Freiheit und Zuversicht raubt. Die momentane Krise zeigt uns auf, dass wir in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien und ein gutes Leben aller einstehen sollten und der bestehenden Politik im Sinne von Kapitalinteressen den Rücken kehren sollten, ja sogar: müssen!

Wir bleiben beim Thema Gesundheit und möchten im nächsten Text einen Blick auf das Thema Tierproduktkonsum und Krankheit werfen.

Viel wurde schon über den Anfang der Pandemie geschrieben: ob Fledermaus oder Pangolin-Schuppentier; fest steht mittlerweile, dass das Virus wie so viele Erkrankungen der letzten Jahre vom Tier auf den Mensch übergesprungen und in ihm mutiert ist. Etwa 70% aller neu auftauchenden Erreger – sei es nun die Vogel- oder Schweinegrippe, Ebola oder Sars, so glaubt zumindest die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, sind auf diesem Wege entstanden. Neben dem offensichtlichen Ursprung, nämlich dem nach wie vor weltweit ansteigenden Fleischkonsum, liegt der Auslöser vor Allem in den auch hierzulande prekären Bedingungen der Massentierhaltung. Unglaubliche 80% aller weltweit verfügbaren Antibiotika werden mittlerweile in ebendieser eingesetzt – und einen anderen Weg sehen die Mastbetriebe auch kaum, vegetieren die Tiere (von „leben“ kann keine Rede sein) doch dicht an dicht vor sich hin und erwarten ihre Schlachtung. Von der CO2-Billanz der Rinderzucht, eine weitere Problelage, soll an dieser Stelle gar nicht die Rede sein, doch auch so zeigt sich das Dilemma des steigenden Konsums und des fehlenden Umdenkens exemplarisch an der Tierzucht. Tonnen von selten entsorgten Exkrementen, fehlende, ja gar unerwünschte Kontrollen durch den Staat, ein ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben und keine veterinärmedizinische Betreuung sind ein geradezu perfekter Nährboden für Krankheiten aller Art. Die gern und reichlich zugefütterten Antibiotika lösen das Problem nicht, wirken sie doch einerseits nicht gegen Viren, wie das aktuell kursierende, noch bekommen die Tiere genug um wirklich nachhaltig bakterielle Infektionen zu verhindern oder zu bekämpfen. In erster Linie sollen die Antibiotika nur das Wachstum beschleunigen und fördern, damit die Tiere beständig ihr Schlachtgewicht erreichen. Multiresistente Bakterien werden so eher begünstigt.
In den oben beschriebenen schlechten Zuständen springen Viren schnell von Tier zu Tier und von Betrieb zu Betrieb und werden nur seltenst entdeckt.
Ein System, welches die selbst erzeugte Nachfrage beständig hoch hält, um den eigenen Profit zu maximieren und staatliche Kontrollorgane bzw. Behörden, die hier wegschauen und die Bedingungen der Nutztierhaltung niedrig halten sowie auch Verbraucher*innen, die weiterhin in großem Maße nicht bereit sind, Alternativen auszuwählen, tragen hier unter Anderem Schuld an diesen Zuständen.
Solange an dieser Stelle kein Umdenken stattfindet, so lange werden wir mit dem beständigen Entstehen zoonotischer Erkrankungen, die mitunter unsere gesamte Gesellschaft bedrohen, leben müssen.


Zu guter Letzt kommen auch wir nicht umhin, uns einem rar gewordenen und hart umkämpften Rohstoff zu widmen: dem „weißen Gold“: das Toilettenpapier! Aktuell wohl der beliebteste Gegenstand bei Hamsterkäufen, spiegelt sich hier doch der von vielen bereits verinnerlichte Egoismus im Kapitalismus wider.

Coronavirus – Hamsterkäufe, eine notwendige Folge des Systems?

Manche lachen über die Panik der Menschen in den Supermärkten, manche verfallen selbst in Angst, aber jeder von uns bekommt mit, wie Menschen nach Klopapier schreien, wie Drogenabhängige nach Kokain.
Ein komischer Vergleich, aber genau wie in der Drogenabhängigkeit, kennt der Hamsterkauf nur seinen eigenen Bedarf.

Aber: Wer oder was führt den Menschen zu diesem zwanghaften Verhalten?
Nun gut, wir leben in einer Gesellschaft, die den Egoismus zum wirtschaftlichen Treibstoff erklärt hat. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Profitmaximierung wird so zu meiner Lebensversicherung. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Leistung und Konkurrenzfähigkeit werden zu meiner Lebensversicherung.

Da wir leider nicht über eine spannende Schachpartie reden, sondern über das System, in dem sich unser menschliches Dasein entfaltet, dringt diese Mentalität der Konkurrenz in jeden nur erdenklichen Bereich den Lebens ein:

Musik hört auf ein Selbstzweck zu sein, und wird kurzerhand zum Geschäftsmodell erklärt, in dem der eine Musiker mehr oder weniger verkauft als die Andere.
Der weibliche Körper hört auf ein Körper zu sein, eine schlanke Silhouette wird kurzerhand zur Werbetafel der neuen Hose erklärt.

Und das besagte Klopapier?
Ja, das besagte Klopapier wird kurzerhand zum neuen Verkaufsschlager der kolumbianischen Kartelle erklärt. Wieder heißt es: Die Hauptsache ist und bleibt mein eigener Vorteil. Der Coronavirus bringt sehr viele Gefahren mit sich, und doch hält er uns einen Spiegel vor die Augen.

Quellen und Lesetipps, u.a: