Mit den folgenden Texten wollen wir, unserem Selbstverständnis linker Theoriearbeit folgend, einen kurzen Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Austeritätspolitik der letzten Jahre geben. Egal ob Spiegel, Taz, Freitag, FAZ oder gar Welt: die Medien kennen nur noch ein Thema: das Sars-CoV-2-Virus und die dadurch ausgelöste Covid-19 genannte Krankheit. Neben ständigen Sachstandsmeldung der noch so kleinsten Veränderung dominiert vor allem ein Ressort: die Wirtschaft! Wie arbeite ich am Effektivsten von zu Hause aus? Wie halte ich die Kinder beschäftigt, damit ich so viel Zeit wie möglich für meinen Job habe? Im Fokus steht hier, altbekannt, aber dadurch nicht weniger tragisch, nicht der Mensch oder das Menschliche, sondern nach wie vor die Frage nach Warenförmigkeit, Systemanpassung und anhaltender Kapitalakkumulation. Das Nicht-Reagieren supranationaler Organisation und Verbände, die schwindende bis fehlende Solidarität von Nationalstaaten untereinander und der kontinuierliche Rückbau von Grundrechten bei Wiederaufbau von klaren Grenzen gerät dabei immer mehr ins Hintertreffen. Unsere Texte erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch können sich Fakten, die wir hier erwähnen, im Moment des Lesens schon wieder verändert haben: zu schnelllebig ist die aktuelle Lage, um sämtliche Aspekte konsequent abdecken zu können. Liefern wollen wir viel eher einen Blick für die größeren Zusammenhänge sowie Denkanstöße geben, wie eine andere solidarische Gemeinschaft ausschauen könnte. Es entbehrt leider einer gewissen Ironie nicht, dass unser erster Anknüpfungspunkt auch hier das bestehende Wirtschaftssystem darstellt, und so wollen wir auch beginnen mit einer Einlassung zu den Widersprüchen vom Kapitalismus in der Krise.
Folgen der Corona-Krise: Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche
Die globale Ausbreitung des Coronavirus hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen.
Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Vereinfacht bedeutet dies, dass Betriebe wegen der beiden Entwicklungen ihre Produktion zurückfahren müssen und damit Menschen auf lange Sicht entlassen werden.
Die ersten Betroffenen sind Menschen ohne feste Anstellungen wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende, Saisonarbeiter*innen. Diese werden direkt entlassen oder werden bei Honorarbezahlungen nicht mehr gebucht. Menschen, die sowieso schon wenig haben, werden mit existenziellen Fragen konfrontiert.
Und auch wenn Niemandem aufgrund der Krise die Wohnung gekündigt werden soll, gilt weiterhin: nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen. In Krisensituationen wird dieses Prinzip deutlich spürbar. Wie stark die Konsequenzen für jede*n Einzelne*n sein werden, kann noch niemand genau sagen. Doch eine Sache ist sicher: die nächste Wirtschaftskrise steht somit bereits vor der Haustür.
Dabei könnte doch alles so einfach sein! Logisch wäre es doch, wenn möglichst alle Menschen ihre Arbeit einstellen, soziale Kontakte zurückfahren und der Virus sich langsam ausbreitet, sodass die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Ausgenommen vom Arbeitsstopp wären die Menschen, die Nahrungsmittel produzieren oder im Gesundheitssystem arbeiten. Haben ca. 70% der Bevölkerung die Erkrankung überstanden und dadurch eine Immunität ausgebildet, wäre der ganze Spuk vorbei. Alle gehen danach wie gewohnt zur Arbeit und das Leben geht weiter. In einer Gesellschaft, die sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen der Einzelnen orientiert, wäre dieses Vorgehen möglich. Leider ist es in einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft nicht so einfach. Ist der Virus überstanden sind die wirtschaftlichen Probleme noch lange nicht vorbei!
Um zu erklären, warum das so ist, wird es etwas komplizierter. Unternehmen ohne Einnahmen müssen weiterhin Miete für ihre Gebäude zahlen. Außerdem sind sie verpflichtet Zinsen für ihre Anleihen zu zahlen, d.h. Abgaben an ihre Kapitalgeber*innen zu leisten. Dieses Problem berührt den Kern des kapitalistischen Systems. Die Wertschöpfung wird weitergegeben. Vermieter und Banken ziehen Miete und Zinsen von Unternehmen ab, die wiederum den Mehrwert aus der Arbeit gewinnen. Der Mehrwert ist die Grundlage der Kapitalakkumulation. Fällt die Wertschöpfung weg, so gerät das System ins Stocken. Firmen gehen Bankrott und ein Großteil der Produktivkraft geht verloren. Zur Erhaltung des Systems kommt jetzt der Staat ins Spiel. Dieser hat die Möglichkeit größere Konzerne vor dem Bankrott zu retten. Durch die Vergabe wirtschaftlicher Finanzspritzen wird die Wertschöpfung wieder in Gang gesetzt. Leidtragende bleiben dabei die Arbeiter*innen, sie haben durch die fehlenden Rücklagen und prekären Beschäftigungen kaum Schutz vor der Krise und außerhalb der Krise wird ihnen gerade so viel zugestanden, wie gesellschaftlich zur Reproduktion notwendig ist.
Für uns ist klar. Die Folgen der Corona-Pandemie machen den Wahnsinn und die Irrationalität unseres Wirtschaftssystems deutlich. Der Kapitalismus ist die Krise!
Was der aktuelle Ausnahmezustand für das Pflegepersonal in vielen Ländern der Welt bedeutet, kann man momentan gut an, in den sozialen Medien tausendfach geteilten, Artikeln zum Umgang mit ebenjenem beobachten: da werden Krankenschwestern bespuckt, da stehen Ärztinnen vor leeren Regalen, weil sie nach einer 12-Stunden Schicht nur noch am späten Abend einkaufen können. Daher möchten wir im folgenden Text einen Blick auf das Gesundheitssystem und seine Lage werfen.
Probleme des Gesundheitssystems anhand der momentanen Krise
Mit dem Ausbruch des Coronavirus werden uns die Grenzen unseres profitorientierten Gesundheitssystems aufgezeigt. Wir alle werden angehalten uns in Isolation zu begeben, solange es nicht doch einen Konflikt mit der kapitalistischen Wertschöpfungskette gibt, um die Versorgung der Erkrankten nicht mit zu vielen Infizierten gleichzeitig zu überlasten. Eine Katastrophe mit Ankündigung! Jahre-, wenn nicht jahrzehntelang, wurde durch die Privatisierung und Ausrichtung auf maximale wirtschaftliche Effizienz an allen Ecken und Enden unserer medizinischen Gesundheitsversorgung gespart und es fand und findet kaum eine Orientierung an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen statt.
Pfleger*innen schreien seit Jahren nach Aufmerksamkeit für ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die Auswirkungen dieser auf die Versorgung der Patient*innen. Durch schlechte Bezahlung und keine festen Pflegeschlüssel von Pfleger*in zu Patient*in gibt es in deutschen Krankenhäusern eine mittlerweile chronische Unterbesetzung. Die Politik begegnet dem gekonnt mit Ignoranz oder Worthülsen und leeren Versprechungen, anstatt den Fachkräftemangel auf diesem Gebiet zum Wohle aller mit angemessen Löhnen und verbesserter Ausstattung zu bekämpfen. Des Weiteren sehen wir uns in Deutschland einem regelrechten Krankenhausschließungswahn gegenüber. Kleinere Krankenhäuser, besonders in ländlichen Gebieten, wurden aufgrund geringer Wirtschaftlichkeit reihenweise geschlossen oder sollen es den Plänen neoliberaler Thinktanks nach lieber heute als morgen tun. Dabei werden so Kapazitäten abgebaut, die wir nicht nur in Fällen wie dem Jetzigen dringend benötigen, sondern auch sonst für eine flächendeckende, menschenorientierte Krankenversorgung. Die Einsparungen auf dem Rücken der überwiegend dort arbeitenden Menschen, sowie uns allen, potenziellen Patient*innen, kommen zum großen Teil aus dem Zwang möglichst wirtschaftlich effizient handeln zu müssen. Besonders bei dem immer größer werdenden Anteil privater Krankenhäuser stehen Gewinne für private Eigentümer an oberster Stelle. Hinzu kommt die Finanzierung der Krankenhäuser auf Grundlage des Fallpauschalen-Systems. Pro behandelten Menschen erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Dies gilt vor allem bei behandlungs- und pflegeintensiven Patient*innen und hat zur Folge, dass zum einen Verkürzung der Liegedauer bei möglichst hoher Fallzahl angestrebt wird und zum zweiten Kosten in allen Bereich möglichst gedrückt werden. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.
Haben wir uns als Gesellschaft in der Vergangenheit zu wenig mit diesen Thematiken beschäftigt, geschweige denn den Regierenden unseres Landes klargemacht, welche Prioritäten wir bei der Gestaltung unseres Gesundheitssystems bevorzugt wissen wollen, so sehen wir uns jetzt im Angesicht der Corona-Pandemie einem im Neoliberalismus gediehenem System gegenüber was uns Angst macht und uns Teile unserer Freiheit und Zuversicht raubt. Die momentane Krise zeigt uns auf, dass wir in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien und ein gutes Leben aller einstehen sollten und der bestehenden Politik im Sinne von Kapitalinteressen den Rücken kehren sollten, ja sogar: müssen!
Wir bleiben beim Thema Gesundheit und möchten im nächsten Text einen Blick auf das Thema Tierproduktkonsum und Krankheit werfen.
Viel wurde schon über den Anfang der Pandemie geschrieben: ob Fledermaus oder Pangolin-Schuppentier; fest steht mittlerweile, dass das Virus wie so viele Erkrankungen der letzten Jahre vom Tier auf den Mensch übergesprungen und in ihm mutiert ist. Etwa 70% aller neu auftauchenden Erreger – sei es nun die Vogel- oder Schweinegrippe, Ebola oder Sars, so glaubt zumindest die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, sind auf diesem Wege entstanden. Neben dem offensichtlichen Ursprung, nämlich dem nach wie vor weltweit ansteigenden Fleischkonsum, liegt der Auslöser vor Allem in den auch hierzulande prekären Bedingungen der Massentierhaltung. Unglaubliche 80% aller weltweit verfügbaren Antibiotika werden mittlerweile in ebendieser eingesetzt – und einen anderen Weg sehen die Mastbetriebe auch kaum, vegetieren die Tiere (von „leben“ kann keine Rede sein) doch dicht an dicht vor sich hin und erwarten ihre Schlachtung. Von der CO2-Billanz der Rinderzucht, eine weitere Problelage, soll an dieser Stelle gar nicht die Rede sein, doch auch so zeigt sich das Dilemma des steigenden Konsums und des fehlenden Umdenkens exemplarisch an der Tierzucht. Tonnen von selten entsorgten Exkrementen, fehlende, ja gar unerwünschte Kontrollen durch den Staat, ein ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben und keine veterinärmedizinische Betreuung sind ein geradezu perfekter Nährboden für Krankheiten aller Art. Die gern und reichlich zugefütterten Antibiotika lösen das Problem nicht, wirken sie doch einerseits nicht gegen Viren, wie das aktuell kursierende, noch bekommen die Tiere genug um wirklich nachhaltig bakterielle Infektionen zu verhindern oder zu bekämpfen. In erster Linie sollen die Antibiotika nur das Wachstum beschleunigen und fördern, damit die Tiere beständig ihr Schlachtgewicht erreichen. Multiresistente Bakterien werden so eher begünstigt.
In den oben beschriebenen schlechten Zuständen springen Viren schnell von Tier zu Tier und von Betrieb zu Betrieb und werden nur seltenst entdeckt.
Ein System, welches die selbst erzeugte Nachfrage beständig hoch hält, um den eigenen Profit zu maximieren und staatliche Kontrollorgane bzw. Behörden, die hier wegschauen und die Bedingungen der Nutztierhaltung niedrig halten sowie auch Verbraucher*innen, die weiterhin in großem Maße nicht bereit sind, Alternativen auszuwählen, tragen hier unter Anderem Schuld an diesen Zuständen.
Solange an dieser Stelle kein Umdenken stattfindet, so lange werden wir mit dem beständigen Entstehen zoonotischer Erkrankungen, die mitunter unsere gesamte Gesellschaft bedrohen, leben müssen.
Zu guter Letzt kommen auch wir nicht umhin, uns einem rar gewordenen und hart umkämpften Rohstoff zu widmen: dem „weißen Gold“: das Toilettenpapier! Aktuell wohl der beliebteste Gegenstand bei Hamsterkäufen, spiegelt sich hier doch der von vielen bereits verinnerlichte Egoismus im Kapitalismus wider.
Coronavirus – Hamsterkäufe, eine notwendige Folge des Systems?
Manche lachen über die Panik der Menschen in den Supermärkten, manche verfallen selbst in Angst, aber jeder von uns bekommt mit, wie Menschen nach Klopapier schreien, wie Drogenabhängige nach Kokain.
Ein komischer Vergleich, aber genau wie in der Drogenabhängigkeit, kennt der Hamsterkauf nur seinen eigenen Bedarf.
Aber: Wer oder was führt den Menschen zu diesem zwanghaften Verhalten?
Nun gut, wir leben in einer Gesellschaft, die den Egoismus zum wirtschaftlichen Treibstoff erklärt hat. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Profitmaximierung wird so zu meiner Lebensversicherung. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Leistung und Konkurrenzfähigkeit werden zu meiner Lebensversicherung.
Da wir leider nicht über eine spannende Schachpartie reden, sondern über das System, in dem sich unser menschliches Dasein entfaltet, dringt diese Mentalität der Konkurrenz in jeden nur erdenklichen Bereich den Lebens ein:
Musik hört auf ein Selbstzweck zu sein, und wird kurzerhand zum Geschäftsmodell erklärt, in dem der eine Musiker mehr oder weniger verkauft als die Andere.
Der weibliche Körper hört auf ein Körper zu sein, eine schlanke Silhouette wird kurzerhand zur Werbetafel der neuen Hose erklärt.
Und das besagte Klopapier?
Ja, das besagte Klopapier wird kurzerhand zum neuen Verkaufsschlager der kolumbianischen Kartelle erklärt. Wieder heißt es: Die Hauptsache ist und bleibt mein eigener Vorteil. Der Coronavirus bringt sehr viele Gefahren mit sich, und doch hält er uns einen Spiegel vor die Augen.
Quellen und Lesetipps, u.a: