Antikapitalismus

Warum machen wir das überhaupt? „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. / Aber ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ (Erich Fried) – Bildung sollte zentrales Element antifaschistischer Arbeit sein!

Versuch einer Annäherung über die Definition von „Kapitalismus“:

Kapitalismus, der: „(…) Begriff für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das private Eigentum an den Produktionsmitteln (…) [,] das Prinzip der Gewinnmaximierung und die Steuerung der Wirtschaft über den Markt typisch sind. (…) Die Masse der Arbeiter ist überwiegend besitzlos und von den (…) wenigen Kapitalbesitzern (…) abhängig. (…) Der Begriff Kapitalismus beschreibt die heute existierende marktwirt-schaftliche Wirtschaftsordnung der westlichen Industrieländer nicht richtig, da der Kapitalismus in seiner reinen Ausprägung durch ausführliche Sozial- und Wirtschafts-gesetze seit Langem überholt ist.“ (nach Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 26)

Sowohl das als „Kapitalismus“ bezeichnete System als auch sein scheinbar diametrales Gegenstück der „Anti-Kapitalismus“ sind stark konnotiert, ideologisch aufgeladen, vielfach (um-)gedeutet und andauernd diskutiert. Wie also kann man sich den Themenkom-plex (Anti-)Kapitalismus, zumal aus einer selbstverstandenen linken Perspektive, erschließen, in Kürze aufbereiten und auf seine wesentlichen Inhalte und Merkmale herunterbrechen?

Generell können wir die Annahme treffen, dass der Begriff Antikapitalismus vorerst all die Menschen meint, die das Gefühl haben, dass ein Großteil des Leidens auf der Welt durch das umspannende Sozial- und Wirtschaftssystem des Kapitalismus verursacht wird (Adamovsky, 2007). Antikapitalismus kann dabei viele Formen annehmen und findet sich bei Sozialist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, Femnist*innen, aber auch zunehmend in der sog. „Neuen Rechten“ (Körner, 2006). Wie bereits angedeutet, fassen wir unter dem Begriff des „Kapitalismus“ vorerst ein Gesellschaftssystem, d.h. die (historisch) bedingte Struktur und soziale Organisationsform aller zwischenmenschlichen Ver-hältnisse, geprägt durch das wechselseitige Handeln der Individuen, welche reziprok das Miteinander regulieren und ordnen sowie Handlungsorientierung bieten (Huinink & Schröder, 2008). Wir treffen hierbei die Annahme, dass eine kapitalistische Gesellschaft in erster Linie eine unterdrückende sei, da (soziale, politische, ökonomische…) Macht in diesem System ungleich verteilt ist. Genauer gehen wir davon aus, dass Unterdrückung im Kapitalismus über Klassen funktioniert, es also in unserer Gesellschaft Menschen gibt, denen durch Institutionen, Normen, der Historie oder konkret durch ihre Funktion oder ihrem Amt Macht verliehen wird, die es ihnen ermöglicht, über andere zu herrschen. Oftmals verbindet sich diese Klassenunterdrückung mit weiteren Formen, bspw. Sexismus, Antisemitismus oder Rassismus. Dieses System reproduziert sich im zeitlichen Verlauf beständig selbst, wobei die Besonderheit der kapitalistischen Unterdrückung in ihrer selbstreferentiellen Begründungsstruktur liegt, die in erster Linie auf ökonomischen Unterschieden fußt. Kapitalistische Systeme gliedern sich im klassischen Verständnis in die schon angesprochenen Klassen, die sich nach Besitzverhältnissen bzw. ökonomischer Stellung konstituieren. Kern kapitalistisch verfasster Systeme ist ein Dreiklang aus Lohnarbeit, Preisen und Profiten, was bedeutet, dass es im selben Atemzug einen anhaltenden als solchen wahrgenommen Mangel geben muss, damit es einen Anreiz zu Lohnarbeit gibt, damit Einzelne Profite erwirtschaften können, damit Preise künstlich hoch bleiben (Buttenmüller, 2017).

Wir wollen uns hier aber verstärkt alternativen, in erster Linie eben antikapitalistischen Ansätzen zuwenden. Zu Gute kommt uns hierbei, dass die Widersprüche schon grundlegend im Kapitalismus angelegt sind, ihm inhärent ist beinahe zwangsläufig der viel zitierte Klassenkampf. Die als wirtschaftliche „Freiheit“ getarnte Ausbeutung bedeutet für viele Menschen eben auch, dass sie nicht mehr autonom und selbstbestimmt entscheiden können, wo und vor allem wie sie leben wollen, was sie in ihrem Alltag tun möchten und wie sie ihre Zukunft gestalten möchten. Klassenkampf heißt für uns also das beständige Ringen zwischen Unterdrückung und Widerstand, zwischen Unterdrückern und Unter-drückten („Klassenkampf ist der Motor der Geschichte“ – K. Marx), dass parallel das kapitalistische System zwingt sich andauernd neu zu erfinden und anzupassen. Oftmals geschieht dies über eine doppelte, d.h. sowohl eine äußere (imperialistische) wie auch eine innere (Produkterweiterung) Expansion. Das andauernde und anhaltende Wachstum ist tatsächlich essentiell, um sich beständig neue „Märkte“ zu erschließen und gleichzeitig neue Arbeiter*innenmassen zu ‚produzieren‘, die sich einerseits von ihrem persönlichen Konsum sozialen Aufstieg und Zufriedenheit erhoffen, andererseits bereit sind, zu Dum-ping-Preisen für das System zu arbeiten.

Die Rolle des Staates im Kapitalismus ist umstritten, schwankt je nach Sichtweise und Verständnis zwischen neutral, unterstützend und widerstrebend, er soll daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden (Demokratiedebatte); bei Marx eher Skepsis (“Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet.”), für viele Antifa-Gruppen ist der Staat bzw. seine Herrschaft eher negativ konnotiert, und wird häufig auf eine verhältnissichernde Rolle reduziert (AAB-Nbg, 2020). Hieran anknüpfend, wäre auch eine Diskussion um den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus denkbar („Wer also vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ – M. Horkheimer).

Zusammenfassend müssen wir also feststellend, dass die Ideologie des Kapitalismus sich im alltäglichen Individualismus, in der Entfremdung des Menschen von sich selbst, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen sowie in Erfolgskult, Konsumdenken, Warenförmigkeit und Produktfetisch, in Konformismus und Passivität manifestiert und hierbei sämtli-che Bereiche des Miteinanders, des Lebens und des Denkens infiltriert hat. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und autoritäre Machtstrukturen sind nur einige Beispiele für seine gesellschaftsverändernde Wirkung (AAB-Nbg, 2020) Die meisten Menschen haben seine Grundprinzipien längst internalisiert und halten sie für alternativlos, das System des Kapitalismus ist somit total.

Antikapitalistische Haltungen sind aber mindestens ebenso alt wie der Kapitalismus selbst, seine Wurzeln lassen sich im Humanismus und in der Aufklärung sowie im Rahmen der französischen Revolution von 1789 finden, beschäftigten sich damals aber in erster Linie mit philosophischen Gedanken zur Freiheit des Menschen (Rousseau) sowie mit Alternativen zu damals vorherrschenden Monarchien (Diderot). Antikapitalismus im „modernen“ Verständnis findet sich daran anknüpfend in früh-sozialistischen Schriften, die eine gesellschaftliche Organisation fernab von Unterdrückung suchten und in erster Linie durch Erfahrungen mit (früh-)industrieller Arbeit geprägt waren. Hier könnte man nun mit einer kurzen Geschichte des Sozialismus fortsetzen, aufgrund der Kürze der Zeit wenden wir uns aber vorerst der Moderne zu und ‚überspringen‘ einige Jahrhunderte. Nach Buttenmüller (2017) bedeutet Antikapitalismus im eigentlichen Sinne grundlegend das Ersetzen des Systems aus Löhnen, Preisen und Profiten durch ein Anderes, dass für den Menschen und nicht für den „Markt“ produziert, also eine Produktion, deren Erzeugnisse sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher*innen beziehen und die eben nicht durch Zwang hergestellt worden. Für ihn geht es also in erster Linie lediglich um eine wirtschaftliche Alternative, der gesellschaftliche Anspruch des Kapitalismus wird dabei negiert. Die rein ökonomische Herangehensweise ist sicherlich auch eine notwendige, aber keine alleinig Hinreichende, im Gegenteil: Hier liegt sogar eine ganz besondere Gefahr. An ebensolche Annahmen knüpfend zunehmend Rechte jeglicher Couleur an und versuchen einen „Anti-Kapitalismus von Rechts“ zu prägen, der in erster Linie Kapitalismus als kulturellen und sozialen „Verfall“ bewertet und ihm einen „deutschen Sozialismus“ entgegenstellt, der „national“ und somit gegenläufig zu Globalisierungstendenzen sei. Kernausdrücke sind hier die Unterteilung in sog. „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital. (Heine, 2007).

Der Vormarsch des Kapitalismus scheint oftmals unaufhaltsam, viele Länder folgen neo-liberalen, vulgo: kapitalistischen, Theorien und bauen Wohlfahrtsstaaten, bei einer gleichzeitigen Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmer*innen, ab. Ihren ideologi-schen Tiefpunkt finden anti-kapitalistischen Annahmen in Fukuyamas „Ende der Geschichte“ (1992) nach dem Zusammenbruch real-sozialistischer Alternativsysteme und seiner Annahme, dass der Kapitalismus das Beste aller möglichen Systeme darstellt.

Aus heutiger Sicht können wir allerdings guten Gewissens behaupten: der Kapitalismus kann niemals sozial sein und er kann auch niemals nachhaltig sein. Er produziert nicht für den Menschen, er produziert für den Markt und für Profit. Der Mensch arbeitet hierbei nicht mit- sondern gegeneinander. Ansätze zu Alternativen aber können wir jetzt schon in unserem Alltag sehen: in Umsonst-Läden, in einer solidarischen Ökonomie und in einer geteilten und gelebten Solidarität, die es schafft, sich einer systeminhärenten Verwertungslogik zu entziehen und sich den Regularien des Marktes eben nicht unterwirft, sondern sie im Gegenteil aktiv in Frage stellt.

Antikapitalismus bedeutet erneut den Kampf um die Befreiung des Menschen zu wagen und der Spaltung der Gesellschaft entgegen zu treten.

Literatur:

Adamovsky, E. (2007): „Antikapitalismus für Alle: Die neue Generation emanzipatorischer Bewegungen“. Berlin: Karl-Dietz Verlag.

Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg (2020): „Wo immer sie versuchen sich zusammenzurotten, be-kommen sie Ärger.“ In: Autonomie Magazin, Ausgabe 02/20

Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bun-deszentrale für Politische Bildung

Buttenmüller, S. (2017): „Eine Begriffsbestimmung: Wer ist Antikapitalist?“. In: Scharf Links – die neue linke Online-Zeitung, Online-Ressource: http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=61736&cHash=3841120537 (zuletzt abgerufen am 17.02.20) Heine, T. (2007): „Antikapitalismus von Rechts: NPD und Kameradschaften haben die Kapitalismuskritik für sich entdeckt“. In:. ak – analyse&kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, No. 515

Huinink, J. & Schröder, T. (2008): „Sozialstruktur Deutschlands“. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft

Hutter, R. (2011): „Debatte Begriffsdefinition: Antikapitalismus“. In: taz – die Tageszeitung, Online-Res-source: https://taz.de/Debatte-Begriffsdefinition/!5128052/ (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Körner, F. (2006): „Antikapitalismus von Rechts?“. Antifaschistisches Info-Blatt. Online-Ressource: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/antikapitalismus-von-rechts (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Zitelmann, R. (2019): „Die Renaissance des Antikapitalismus“. In: The European – Das Debatten-Mag