Corona-Virus, Kapitalismus und Krise: Inkonsequenzen

Nicht mehr lange und wir befinden uns schon fast ein Jahr in der pandemischen Ausnahmesituation. Neben den AHA-Regeln und der allgemeinen Kontaktreduzierung im privaten und öffentlichen Raum, welche seitdem zu einem kontinuierlichen Bestandteil unserer Alltags geworden sind, gab es in diesem Zeitraum zwei Phasen, in denen verschärfte Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen seitens der Politik durchgesetzt wurden.

Mitte März 2020 wurden aufgrund der steigenden Infektionszahlen in ersten Städten und Kommunen der Katastrophenfall ausgerufen, Großereignisse vorsorglich abgesagt und die deutschen Grenzen geschlossen bzw. Einreiseverbote verhängt. Am 22. März haben Bundesregierung und Länder umfangreiche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ausgerufen. In diesem Zeitraum blieben weite Teile der Wirtschaft von diesen Maßnahmen jedoch unangetastet, was die kapitalistische Wertschöpfungskette und letztendlich die Irrationalität unseres Wirtschaftssystems anschaulich belegt, wie wir bereits Anfang April 2020 in einer ersten Einschätzung dargestellt haben. Ähnliche Widersprüche und falsche Entwicklungen gelten z.B. für den Gesundheitssektor oder setzen direkt beim Tierproduktkonsum an, welcher Ursprungsquelle des Covid-19-Virus ist. 

Ab Mitte April 2020 wurden dank erste Lockerungen sinkender Infektionszahlen von der Politik beschlossen, wobei der Virus natürlich weiter flächendeckend existierte. Seriöse Wissenschaftler*Innen warnten vor einem erneuten dramatischen Anstieg der Infektionszahlen – der sogenannten 2. Welle. Ein Anstieg der Fallzahlen galt als sicher, nur war der genaue Zeitpunkt nicht vorhersehbar. Nachdem im Laufe des Oktobers 2020 die Infektionszahlen mit neuen Höchstständen in Deutschland zuksessive anstiegen, wurde für Anfang November 2020 ein schwächerer Lockdown beschlossen, wobei Schulen geöffnet und auch weite Teile der Wirtschaft von diesem Maßnahmen erneut unangetastet blieben. Aus dem anfänglichen “Teil-Lockdown” wurde Anfang Dezember 2020 ein “harter Lockdown” in welchem wir uns jetzt immer noch befinden. Aus unserer Sicht ist eindeutig, dass aus den Verfehlungen der Vergangenheit nicht im geringsten gelernt wurde. Kritik an nicht existenten bzw. völlig unzureichenden Maßnahmen oder an bereits bestehenden sind immer noch aktuell und notwendig! Weite Teile der Wirtschaft konnten und können weiterproduzieren oder Dienstleistungen anbieten, ohne dass die berechtige Frage gestellt wird, ob gerade deshalb eine deutliche Abnahme der Infektionszahlen -im aktuell bestehenden “Lockdown” – erschwert wird. Kritik an den getroffenen  bzw. fehlenden und unzureichenden Maßnahmen sind zwingend notwendig. Die “lauteste” Kritik kommt seit dem Sommer allerdings primär von der “Querdenken”-Bewegung. Unter einem vermeintliche poltisch neutralen Deckmantel (abgesehen von der Ablehnung der Corona-Maßnahmen) werden antidemokratische, antisemitische und offen rechtsextreme Positionen auf ihren Kundgebungen vorgetragen.

Unsere linke Kritik macht sich vor allem an dem oben bereits angedeuteten Kontrast zwischen dem aus unserer Sicht notwendigen Eingreifen in unser aller Privatleben und dem, was politisch als “wirklich systemrelevant” angesehen wird, fest. So war es im November und Dezember für Schüler*Innen bedrückende Realität, dass der Schulunterricht im Präsenz in voller Klassenstärke stattfinden musste, während ihnen im selben Zeitraum das Treffen mit mehr als einer Person im öffentlichen Raum verwehrt wurde. Das Narrativ der Schulen, welche keine Infektionstreiber wären (1), ist mittlerweile widerlegt und entwickelte sich zu einem mittleren politischen Skandal zu den Ungunsten des Hamburger Bildungssenators (2). Abseits dessen führt eine solche Politk defintiv nicht dazu, dass Schüler*Innen die Gefahr der Pandemie ernst nehmen und sich deshalb auch den Einschränkungen ihres Privatlebens unterwerfen. 

Was nun bezogen auf die Schule seit Mitte Dezember zum Glück keine Thema mehr ist, ist jedoch in weiten Teilen der Wirtschaft weiterhin bittere Wirklichkeit. Denn die große Koalition scheut sich vor dem “schwerwiegende[n] Eingriff in die betriebliche und unternehmerische Autonomie”, wie es der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft Markus Jerger formulierte (3). In dieser Aussage spiegelt sich vortrefflich wieder, wie seit Beginn der Pandemie mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn ein*e jede*r erlebt tagtäglich einen schwerwiegenden Eingriff in die eigene Autonomie und Freiheit, welcher unangenehm, aber derzeit doch oft notwendig ist. Lediglich bei nicht mehr zu ignorierenden Hotspots mit hunderten Infizierten (z.B. beim Schlachtbetrieb Tönnies) werden in kürzester Zeit Betriebsschließungen durch die Politik durchgesetzt. Mit ernsthaften Argumenten aus volkswirtschaftlicher Perspektive, bezogen auf die Realwirtschaft, lässt sich jedoch die Ablehnung einer Homeoffice-Pflicht oder die Schließung von Betrieben, welche nicht für die Güter des täglichen Lebens notwendig sind, wahrscheinlich nicht begründen. Ganz abgesehen davon, dass große Teile des Kulturbetriebs und unabhängige Künstler*Innen diesen Status seit bald einem Jahr überstehen müssen. Viel eher scheint es sich dabei um ein reflexhaftes katzenartiges “zurückziehen und fauchen” zu handeln, welches bei potentiellen Eingriffen der Politik in wirtschaftliche Tätigkeiten Wirtschaftslobbyist*Innen antrainiert ist, oder von der Sorge um den Wert des Daxes geprägt, welcher im perversen Kontrast zu der Lage der Menschen erstmals die 14.000 Punkte knackte (4). Im Gesundheitswesen wurde ein Teil (!) der Beschäftigten mit – in Relation zu den massiven Belastung über ein 3/4 Jahr – mickrigen Bonuszahlungen abgespeist, während sich an den Arbeitsbedingungen nichts oder nur wenig geändert hat. Die Schulen öffneten nach den Sommerferien abgesehen von der zwischendurch außer Kraft gesetzten Maskenpflicht wie gewohnt, ohne dass eine Art der Vorbereitung auf die drohende 2. Welle stattfand, weshalb Schüler*Innen und Lehrer*Innen sich bei allmälich sinkenden Temperaturen im November mit der Pseudo-Lösung Stoßlüften arrangieren mussten. Erkenntnisse über die Verbreitung von Aerosolen im Raum gibt es nicht erst seit November 2020, eine Vorbereitung hätte defintiv stattfinden können. Studierende, welche zur Finanzierung ihres Studiums eigentlich auf Nebenjobs, etwa im geschlossenen Gastronomiebetrieb, angewiesen sind, bekommen wenig bis keine Unterstützung vom Staat. Ein Armutszeugnis eines Bildungssystems, welches sich zumindest auf dem Papier der Chancengleichheit verschrieben hat und nun erneut Studierende aus finanziell wohlhabenderen Haushalten bevorzugt. Auch die in Teilen Deutschlands beschlossene Pflicht zum tragen von FFP2-Masken offenbart erneut die Schwächen unseres Wirtschaftssystems: Denn all jenen, die ihren Beruf nicht im Homeoffice ausüben können, weiter normal arbeiten und sich der Infektionsgefahr aussetzen müssen, wird nun zusätzlich die finanzielle Last der zwar hochwertigeren aber erheblich teureren Maske auferlegt. Soll diese Maßnahme Wirkung zeigen, muss die Politik die Kosten der nicht lange haltbaren Masken tragen, ansonsten bleibt sie epidemologisch bedeutungslos und/oder eine Zumutung für finanziell schwächer Dastehende. Es lassen sich aus unserer Sicht noch viele weitere Punkte aufzählen unter denen Menschen in der Pandemiesituation finanziell und andersartig leiden, welche zur Ungunst der Betroffenen oftmals politisch eher halbherzig angegangen wurden. Auch auf die Sozialdemokrat*Innen der “Arbeiterpartei” SPD wird niemand mehr hoffen, der unter der aktuellen Situation leidet. 

Dieser Diskussion müsste sich eine Gesellschaft eigentlich stellen, insbesondere im Kontrast zum Eingriff in die individuelle Freiheit. Maßnahmen, die wir eigentlich von autoriären Regimen kennen – wie zum Beispiel Ausgangssperren – müssen debattiert werden und im Verhältnis zu Eingriffen in die wirtschaftliche Freiheit gestellt werden. Dieser Aufgaben haben sich linke Parteien und Gruppen zu spät gestellt, denn bis ins neue Jahr herrschte zu dieser Thematik nahezu politische und mediale Funkstille. 

Angesichts dessen begrüßen wir die Initiative “Zero Covid”, welche auch die notwendige Frage stellt, wer besonders unter den Maßnahmen leidet, und wer weiter Geld verdient und sich den Einschränkungen durch zum Beispiel die spontane Reise nach Dubai entziehen kann. Bei dem Vorschlag der Initiative handelt sich nicht um eine “halbtotalitäre Fantasie” wie die TAZ meint analysiert zu haben (5), sondern um die logische linksradikale Ergänzung einer “halbtotalitären” Realität. Dabei sollte klar sein: Das Ziel heißt null Infektionen. Für einen europäischen Shutdown!

Bannerdrop und die Lage der Dinge Ende 2020

Angesicht der aktuellen, auf uns oft bedrohlich wirkenden Entwicklungen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen – angefangen bei rechten Netzwerken in Polizei und Justiz, oft verbunden mit Repressionen gegenüber linken Menschen und Gruppen, über den Schulterschluss vieler rechter Gruppen mit vermeintlichen „Corona-Skeptischen“ bis hin zum schwierigen Kampf gegen den Klimawandel – wollen wir unseren Kopf nicht in den Sand stecken! Gerade dieser Tage finden wir es umso wichtiger als junge Menschen weiterhin unsere Meinungen auf die Straße zu tragen, unseren Unzufriedenheiten Ausdruck zu verleihen und unsere Vorstellungen eines guten Lebens sichtbar zu machen und klar zu formulieren.

Die Corona-Pandemie bestimmt unserer Leben in scheinbar allen Bereichen, jedoch werden die Grundlagen für ein besseres Leben gerade in dieser Krise auf vielfältigste Art und Weise bedroht. Damit Konzerne gerettet werden können, welche uns außer angeblich unverzichtbaren Arbeitsplätzen kaum einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen, müssen die Steuerzahlenden Unmengen an Geld bereitstellen.

Doch schlussendlich sind es die gutverdienenden Bonzen, welche in der Krise noch mehr Gewinn gemacht haben, die sich der gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Für die Bundeswehr wird jährlich das Budget um Milliarden erhöht, während uns vorgemacht wird, dass für das Bildungs- und Gesundheitssystem einfach nicht mehr Geld zur Verfügung steht. In den Parlamenten dieses Landes werden neue Gesetze zur Erweiterung der Befugnisse von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden ohne Notwendigkeit und unter diesen Umständen leider auch viel zu geringem Widerstand aus allen Lagern verabschiedet, welche die Freiheiten unserer Kommunikation und dem gesellschaftlichem und politischem Engagement auf ungeahnte Art und Weise beschränken werden.

Es mag leicht erscheinen, sich dieser Tage mit Konsum, Weihnachtstrouble und dem oberflächlichen Ärger über den fehlenden Weihnachtsmarkt abzulenken, während die öffentliche Debatte zusehends durch verkürzte Argumente vermeintlicher „Systemkritiker*innen“ bestimmt wird, halten wir es für wichtig gemeinsam ein Zeichen zu setzen und zu zeigen: Bochum bleibt stabil – zusammen für Antifaschismus und Feminismus, für Klimagerechtigkeit und Tiergerechtigkeit, für den bezahlbaren Wohnraum und gegen Rassismus, Sexismus und staatliche Übergriffe! Unsere Solidarität ihren Repressionen, denn Kämpfe verbinden! Gemeinsam für das gute Leben für Alle!

Antikapitalismus

Warum machen wir das überhaupt? „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. / Aber ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ (Erich Fried) – Bildung sollte zentrales Element antifaschistischer Arbeit sein!

Versuch einer Annäherung über die Definition von „Kapitalismus“:

Kapitalismus, der: „(…) Begriff für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das private Eigentum an den Produktionsmitteln (…) [,] das Prinzip der Gewinnmaximierung und die Steuerung der Wirtschaft über den Markt typisch sind. (…) Die Masse der Arbeiter ist überwiegend besitzlos und von den (…) wenigen Kapitalbesitzern (…) abhängig. (…) Der Begriff Kapitalismus beschreibt die heute existierende marktwirt-schaftliche Wirtschaftsordnung der westlichen Industrieländer nicht richtig, da der Kapitalismus in seiner reinen Ausprägung durch ausführliche Sozial- und Wirtschafts-gesetze seit Langem überholt ist.“ (nach Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 26)

Sowohl das als „Kapitalismus“ bezeichnete System als auch sein scheinbar diametrales Gegenstück der „Anti-Kapitalismus“ sind stark konnotiert, ideologisch aufgeladen, vielfach (um-)gedeutet und andauernd diskutiert. Wie also kann man sich den Themenkom-plex (Anti-)Kapitalismus, zumal aus einer selbstverstandenen linken Perspektive, erschließen, in Kürze aufbereiten und auf seine wesentlichen Inhalte und Merkmale herunterbrechen?

Generell können wir die Annahme treffen, dass der Begriff Antikapitalismus vorerst all die Menschen meint, die das Gefühl haben, dass ein Großteil des Leidens auf der Welt durch das umspannende Sozial- und Wirtschaftssystem des Kapitalismus verursacht wird (Adamovsky, 2007). Antikapitalismus kann dabei viele Formen annehmen und findet sich bei Sozialist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, Femnist*innen, aber auch zunehmend in der sog. „Neuen Rechten“ (Körner, 2006). Wie bereits angedeutet, fassen wir unter dem Begriff des „Kapitalismus“ vorerst ein Gesellschaftssystem, d.h. die (historisch) bedingte Struktur und soziale Organisationsform aller zwischenmenschlichen Ver-hältnisse, geprägt durch das wechselseitige Handeln der Individuen, welche reziprok das Miteinander regulieren und ordnen sowie Handlungsorientierung bieten (Huinink & Schröder, 2008). Wir treffen hierbei die Annahme, dass eine kapitalistische Gesellschaft in erster Linie eine unterdrückende sei, da (soziale, politische, ökonomische…) Macht in diesem System ungleich verteilt ist. Genauer gehen wir davon aus, dass Unterdrückung im Kapitalismus über Klassen funktioniert, es also in unserer Gesellschaft Menschen gibt, denen durch Institutionen, Normen, der Historie oder konkret durch ihre Funktion oder ihrem Amt Macht verliehen wird, die es ihnen ermöglicht, über andere zu herrschen. Oftmals verbindet sich diese Klassenunterdrückung mit weiteren Formen, bspw. Sexismus, Antisemitismus oder Rassismus. Dieses System reproduziert sich im zeitlichen Verlauf beständig selbst, wobei die Besonderheit der kapitalistischen Unterdrückung in ihrer selbstreferentiellen Begründungsstruktur liegt, die in erster Linie auf ökonomischen Unterschieden fußt. Kapitalistische Systeme gliedern sich im klassischen Verständnis in die schon angesprochenen Klassen, die sich nach Besitzverhältnissen bzw. ökonomischer Stellung konstituieren. Kern kapitalistisch verfasster Systeme ist ein Dreiklang aus Lohnarbeit, Preisen und Profiten, was bedeutet, dass es im selben Atemzug einen anhaltenden als solchen wahrgenommen Mangel geben muss, damit es einen Anreiz zu Lohnarbeit gibt, damit Einzelne Profite erwirtschaften können, damit Preise künstlich hoch bleiben (Buttenmüller, 2017).

Wir wollen uns hier aber verstärkt alternativen, in erster Linie eben antikapitalistischen Ansätzen zuwenden. Zu Gute kommt uns hierbei, dass die Widersprüche schon grundlegend im Kapitalismus angelegt sind, ihm inhärent ist beinahe zwangsläufig der viel zitierte Klassenkampf. Die als wirtschaftliche „Freiheit“ getarnte Ausbeutung bedeutet für viele Menschen eben auch, dass sie nicht mehr autonom und selbstbestimmt entscheiden können, wo und vor allem wie sie leben wollen, was sie in ihrem Alltag tun möchten und wie sie ihre Zukunft gestalten möchten. Klassenkampf heißt für uns also das beständige Ringen zwischen Unterdrückung und Widerstand, zwischen Unterdrückern und Unter-drückten („Klassenkampf ist der Motor der Geschichte“ – K. Marx), dass parallel das kapitalistische System zwingt sich andauernd neu zu erfinden und anzupassen. Oftmals geschieht dies über eine doppelte, d.h. sowohl eine äußere (imperialistische) wie auch eine innere (Produkterweiterung) Expansion. Das andauernde und anhaltende Wachstum ist tatsächlich essentiell, um sich beständig neue „Märkte“ zu erschließen und gleichzeitig neue Arbeiter*innenmassen zu ‚produzieren‘, die sich einerseits von ihrem persönlichen Konsum sozialen Aufstieg und Zufriedenheit erhoffen, andererseits bereit sind, zu Dum-ping-Preisen für das System zu arbeiten.

Die Rolle des Staates im Kapitalismus ist umstritten, schwankt je nach Sichtweise und Verständnis zwischen neutral, unterstützend und widerstrebend, er soll daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden (Demokratiedebatte); bei Marx eher Skepsis (“Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet.”), für viele Antifa-Gruppen ist der Staat bzw. seine Herrschaft eher negativ konnotiert, und wird häufig auf eine verhältnissichernde Rolle reduziert (AAB-Nbg, 2020). Hieran anknüpfend, wäre auch eine Diskussion um den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus denkbar („Wer also vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ – M. Horkheimer).

Zusammenfassend müssen wir also feststellend, dass die Ideologie des Kapitalismus sich im alltäglichen Individualismus, in der Entfremdung des Menschen von sich selbst, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen sowie in Erfolgskult, Konsumdenken, Warenförmigkeit und Produktfetisch, in Konformismus und Passivität manifestiert und hierbei sämtli-che Bereiche des Miteinanders, des Lebens und des Denkens infiltriert hat. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und autoritäre Machtstrukturen sind nur einige Beispiele für seine gesellschaftsverändernde Wirkung (AAB-Nbg, 2020) Die meisten Menschen haben seine Grundprinzipien längst internalisiert und halten sie für alternativlos, das System des Kapitalismus ist somit total.

Antikapitalistische Haltungen sind aber mindestens ebenso alt wie der Kapitalismus selbst, seine Wurzeln lassen sich im Humanismus und in der Aufklärung sowie im Rahmen der französischen Revolution von 1789 finden, beschäftigten sich damals aber in erster Linie mit philosophischen Gedanken zur Freiheit des Menschen (Rousseau) sowie mit Alternativen zu damals vorherrschenden Monarchien (Diderot). Antikapitalismus im „modernen“ Verständnis findet sich daran anknüpfend in früh-sozialistischen Schriften, die eine gesellschaftliche Organisation fernab von Unterdrückung suchten und in erster Linie durch Erfahrungen mit (früh-)industrieller Arbeit geprägt waren. Hier könnte man nun mit einer kurzen Geschichte des Sozialismus fortsetzen, aufgrund der Kürze der Zeit wenden wir uns aber vorerst der Moderne zu und ‚überspringen‘ einige Jahrhunderte. Nach Buttenmüller (2017) bedeutet Antikapitalismus im eigentlichen Sinne grundlegend das Ersetzen des Systems aus Löhnen, Preisen und Profiten durch ein Anderes, dass für den Menschen und nicht für den „Markt“ produziert, also eine Produktion, deren Erzeugnisse sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher*innen beziehen und die eben nicht durch Zwang hergestellt worden. Für ihn geht es also in erster Linie lediglich um eine wirtschaftliche Alternative, der gesellschaftliche Anspruch des Kapitalismus wird dabei negiert. Die rein ökonomische Herangehensweise ist sicherlich auch eine notwendige, aber keine alleinig Hinreichende, im Gegenteil: Hier liegt sogar eine ganz besondere Gefahr. An ebensolche Annahmen knüpfend zunehmend Rechte jeglicher Couleur an und versuchen einen „Anti-Kapitalismus von Rechts“ zu prägen, der in erster Linie Kapitalismus als kulturellen und sozialen „Verfall“ bewertet und ihm einen „deutschen Sozialismus“ entgegenstellt, der „national“ und somit gegenläufig zu Globalisierungstendenzen sei. Kernausdrücke sind hier die Unterteilung in sog. „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital. (Heine, 2007).

Der Vormarsch des Kapitalismus scheint oftmals unaufhaltsam, viele Länder folgen neo-liberalen, vulgo: kapitalistischen, Theorien und bauen Wohlfahrtsstaaten, bei einer gleichzeitigen Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmer*innen, ab. Ihren ideologi-schen Tiefpunkt finden anti-kapitalistischen Annahmen in Fukuyamas „Ende der Geschichte“ (1992) nach dem Zusammenbruch real-sozialistischer Alternativsysteme und seiner Annahme, dass der Kapitalismus das Beste aller möglichen Systeme darstellt.

Aus heutiger Sicht können wir allerdings guten Gewissens behaupten: der Kapitalismus kann niemals sozial sein und er kann auch niemals nachhaltig sein. Er produziert nicht für den Menschen, er produziert für den Markt und für Profit. Der Mensch arbeitet hierbei nicht mit- sondern gegeneinander. Ansätze zu Alternativen aber können wir jetzt schon in unserem Alltag sehen: in Umsonst-Läden, in einer solidarischen Ökonomie und in einer geteilten und gelebten Solidarität, die es schafft, sich einer systeminhärenten Verwertungslogik zu entziehen und sich den Regularien des Marktes eben nicht unterwirft, sondern sie im Gegenteil aktiv in Frage stellt.

Antikapitalismus bedeutet erneut den Kampf um die Befreiung des Menschen zu wagen und der Spaltung der Gesellschaft entgegen zu treten.

Literatur:

Adamovsky, E. (2007): „Antikapitalismus für Alle: Die neue Generation emanzipatorischer Bewegungen“. Berlin: Karl-Dietz Verlag.

Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg (2020): „Wo immer sie versuchen sich zusammenzurotten, be-kommen sie Ärger.“ In: Autonomie Magazin, Ausgabe 02/20

Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bun-deszentrale für Politische Bildung

Buttenmüller, S. (2017): „Eine Begriffsbestimmung: Wer ist Antikapitalist?“. In: Scharf Links – die neue linke Online-Zeitung, Online-Ressource: http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=61736&cHash=3841120537 (zuletzt abgerufen am 17.02.20) Heine, T. (2007): „Antikapitalismus von Rechts: NPD und Kameradschaften haben die Kapitalismuskritik für sich entdeckt“. In:. ak – analyse&kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, No. 515

Huinink, J. & Schröder, T. (2008): „Sozialstruktur Deutschlands“. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft

Hutter, R. (2011): „Debatte Begriffsdefinition: Antikapitalismus“. In: taz – die Tageszeitung, Online-Res-source: https://taz.de/Debatte-Begriffsdefinition/!5128052/ (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Körner, F. (2006): „Antikapitalismus von Rechts?“. Antifaschistisches Info-Blatt. Online-Ressource: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/antikapitalismus-von-rechts (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Zitelmann, R. (2019): „Die Renaissance des Antikapitalismus“. In: The European – Das Debatten-Mag

Corona-Virus, Kapitalismus und Krise: Versuch einer Einordnung


Durch den Kapitalismus werden Probleme der Corona-Krise ungerecht verteilt, sozial schwache Menschen trifft sie am stärksten. Außerdem werden durch die Fokussierung auf Profit und Effizienz sowie den Erhalt der Wirtschaft Maßnahmen gegen das Virus erschwert. Im Vordergrund stehen nicht Gemeinwohl und Bedürfnisse des Einzelnen, sondern die Erhaltung des Kapitals. Die momentane Krise zeigt uns, dass wir nur wenn wir den Kapitalinteressen den Rücken kehren und in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien einstehen, ein gutes Leben für alle erreichen können.

Mit den folgenden Thesen wollen wir Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Politik der letzten Jahre geben.


  1. Die Krise trifft die am stärksten, die am wenigsten haben:

    Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Die Betriebe müssen also die Produktion zurückfahren, Menschen werden entlassen. Dabei sind Menschen ohne feste Anstellung wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende und Saisonarbeiter*innen als erstes betroffen.

  2. Logische Maßnahmen gegen das Corona-Virus sind nicht für alle möglich:

    Menschen können ihre Arbeit nicht einstellen und sich zuhause isolieren, da sie ihr Einkommen zum Überleben benötigen. Denn nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen.

  3. Durch Privatisierung und Zwang für wirtschaftliche Effizienz wurde an medizinischer Versorgung gespart:

    Chronische Unterbesetzung in der Pflege wegen schlechter Bezahlung und fehlendem Pflegeschlüssel, Schließung kleiner Krankenhäuser besonders in ländlichen Regionen wegen wirtschaftlicher Ineffizienz und die Finanzierung der Krankenhäuser nach einer Fallpauschale erschweren die Bekämpfung des Virus.

  4. Profitorientiertes Gesundheitssystem erschwerte die Vorbereitung auf Ausnahmesituationen:

    Mit der Fallpauschale erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale pro behandeltem Menschen, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Es wird also eine möglichst hohe Fallzahl mit möglichst geringer Liegedauer angestrebt, die Kosten werden so gering wie möglich gehalten. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.

  5. Die meisten Erkrankungen der letzten Jahre wie Vogel- und Schweinegrippe, Ebola, Sars und auch Corona sind nach UN-Landwirtschaftsorganisation FAO vom Tier auf den Menschen übergesprungen:

    Der weltweit extreme Profitdruck ist Auslöser für auch hierzulande prekäre Bedingungen in der Tierhaltung. Selten entsorgte Exkremente und ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben sowie mangelnde veterinärmedizinische Betreuung bieten den perfekten Nährboden für Krankheiten. Die Viren springen schnell von Tier zu Tier und somit von Betrieb zu Betrieb wobei sie selten entdeckt werden.

  6. Ohne Umdenken werden immer wieder neue zoonotische Erkrankungen entstehen:

    Das System hält die Nachfrage an tierischen Produkten hoch, um den Profit zu maximieren. Unterstützt wird es dabei durch geringe staatliche Kontrolle, niedrige Bedingungen für die Nutztierhaltung sowie Verbraucher*innen, die ihr Verhalten nicht ändern.

  7. Verhalten wie Hamsterkäufe zeigen den verinnerlichten Egoismus im Kapitalismus:

    Im kapitalistischem System gilt Leistung und Profitmaximierung als Überlebensversicherung. Die Konkurrenz ist groß, jeder sorgt zuerst für seinen eigenen Bedarf. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Dieses Konkurrenzdenken breitet sich auf alle Lebensbereiche aus, Musik verliert ihren Selbstzweck und wird zum Geschäftsmodell und der menschliche Körper wird zur Werbetafel. Die Hauptsache ist und bleibt der eigene Vorteil, auch beim Kaufen von Klopapier.