Corona-Virus, Kapitalismus und Krise: Inkonsequenzen

Nicht mehr lange und wir befinden uns schon fast ein Jahr in der pandemischen Ausnahmesituation. Neben den AHA-Regeln und der allgemeinen Kontaktreduzierung im privaten und öffentlichen Raum, welche seitdem zu einem kontinuierlichen Bestandteil unserer Alltags geworden sind, gab es in diesem Zeitraum zwei Phasen, in denen verschärfte Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen seitens der Politik durchgesetzt wurden.

Mitte März 2020 wurden aufgrund der steigenden Infektionszahlen in ersten Städten und Kommunen der Katastrophenfall ausgerufen, Großereignisse vorsorglich abgesagt und die deutschen Grenzen geschlossen bzw. Einreiseverbote verhängt. Am 22. März haben Bundesregierung und Länder umfangreiche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ausgerufen. In diesem Zeitraum blieben weite Teile der Wirtschaft von diesen Maßnahmen jedoch unangetastet, was die kapitalistische Wertschöpfungskette und letztendlich die Irrationalität unseres Wirtschaftssystems anschaulich belegt, wie wir bereits Anfang April 2020 in einer ersten Einschätzung dargestellt haben. Ähnliche Widersprüche und falsche Entwicklungen gelten z.B. für den Gesundheitssektor oder setzen direkt beim Tierproduktkonsum an, welcher Ursprungsquelle des Covid-19-Virus ist. 

Ab Mitte April 2020 wurden dank erste Lockerungen sinkender Infektionszahlen von der Politik beschlossen, wobei der Virus natürlich weiter flächendeckend existierte. Seriöse Wissenschaftler*Innen warnten vor einem erneuten dramatischen Anstieg der Infektionszahlen – der sogenannten 2. Welle. Ein Anstieg der Fallzahlen galt als sicher, nur war der genaue Zeitpunkt nicht vorhersehbar. Nachdem im Laufe des Oktobers 2020 die Infektionszahlen mit neuen Höchstständen in Deutschland zuksessive anstiegen, wurde für Anfang November 2020 ein schwächerer Lockdown beschlossen, wobei Schulen geöffnet und auch weite Teile der Wirtschaft von diesem Maßnahmen erneut unangetastet blieben. Aus dem anfänglichen “Teil-Lockdown” wurde Anfang Dezember 2020 ein “harter Lockdown” in welchem wir uns jetzt immer noch befinden. Aus unserer Sicht ist eindeutig, dass aus den Verfehlungen der Vergangenheit nicht im geringsten gelernt wurde. Kritik an nicht existenten bzw. völlig unzureichenden Maßnahmen oder an bereits bestehenden sind immer noch aktuell und notwendig! Weite Teile der Wirtschaft konnten und können weiterproduzieren oder Dienstleistungen anbieten, ohne dass die berechtige Frage gestellt wird, ob gerade deshalb eine deutliche Abnahme der Infektionszahlen -im aktuell bestehenden “Lockdown” – erschwert wird. Kritik an den getroffenen  bzw. fehlenden und unzureichenden Maßnahmen sind zwingend notwendig. Die “lauteste” Kritik kommt seit dem Sommer allerdings primär von der “Querdenken”-Bewegung. Unter einem vermeintliche poltisch neutralen Deckmantel (abgesehen von der Ablehnung der Corona-Maßnahmen) werden antidemokratische, antisemitische und offen rechtsextreme Positionen auf ihren Kundgebungen vorgetragen.

Unsere linke Kritik macht sich vor allem an dem oben bereits angedeuteten Kontrast zwischen dem aus unserer Sicht notwendigen Eingreifen in unser aller Privatleben und dem, was politisch als “wirklich systemrelevant” angesehen wird, fest. So war es im November und Dezember für Schüler*Innen bedrückende Realität, dass der Schulunterricht im Präsenz in voller Klassenstärke stattfinden musste, während ihnen im selben Zeitraum das Treffen mit mehr als einer Person im öffentlichen Raum verwehrt wurde. Das Narrativ der Schulen, welche keine Infektionstreiber wären (1), ist mittlerweile widerlegt und entwickelte sich zu einem mittleren politischen Skandal zu den Ungunsten des Hamburger Bildungssenators (2). Abseits dessen führt eine solche Politk defintiv nicht dazu, dass Schüler*Innen die Gefahr der Pandemie ernst nehmen und sich deshalb auch den Einschränkungen ihres Privatlebens unterwerfen. 

Was nun bezogen auf die Schule seit Mitte Dezember zum Glück keine Thema mehr ist, ist jedoch in weiten Teilen der Wirtschaft weiterhin bittere Wirklichkeit. Denn die große Koalition scheut sich vor dem “schwerwiegende[n] Eingriff in die betriebliche und unternehmerische Autonomie”, wie es der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft Markus Jerger formulierte (3). In dieser Aussage spiegelt sich vortrefflich wieder, wie seit Beginn der Pandemie mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn ein*e jede*r erlebt tagtäglich einen schwerwiegenden Eingriff in die eigene Autonomie und Freiheit, welcher unangenehm, aber derzeit doch oft notwendig ist. Lediglich bei nicht mehr zu ignorierenden Hotspots mit hunderten Infizierten (z.B. beim Schlachtbetrieb Tönnies) werden in kürzester Zeit Betriebsschließungen durch die Politik durchgesetzt. Mit ernsthaften Argumenten aus volkswirtschaftlicher Perspektive, bezogen auf die Realwirtschaft, lässt sich jedoch die Ablehnung einer Homeoffice-Pflicht oder die Schließung von Betrieben, welche nicht für die Güter des täglichen Lebens notwendig sind, wahrscheinlich nicht begründen. Ganz abgesehen davon, dass große Teile des Kulturbetriebs und unabhängige Künstler*Innen diesen Status seit bald einem Jahr überstehen müssen. Viel eher scheint es sich dabei um ein reflexhaftes katzenartiges “zurückziehen und fauchen” zu handeln, welches bei potentiellen Eingriffen der Politik in wirtschaftliche Tätigkeiten Wirtschaftslobbyist*Innen antrainiert ist, oder von der Sorge um den Wert des Daxes geprägt, welcher im perversen Kontrast zu der Lage der Menschen erstmals die 14.000 Punkte knackte (4). Im Gesundheitswesen wurde ein Teil (!) der Beschäftigten mit – in Relation zu den massiven Belastung über ein 3/4 Jahr – mickrigen Bonuszahlungen abgespeist, während sich an den Arbeitsbedingungen nichts oder nur wenig geändert hat. Die Schulen öffneten nach den Sommerferien abgesehen von der zwischendurch außer Kraft gesetzten Maskenpflicht wie gewohnt, ohne dass eine Art der Vorbereitung auf die drohende 2. Welle stattfand, weshalb Schüler*Innen und Lehrer*Innen sich bei allmälich sinkenden Temperaturen im November mit der Pseudo-Lösung Stoßlüften arrangieren mussten. Erkenntnisse über die Verbreitung von Aerosolen im Raum gibt es nicht erst seit November 2020, eine Vorbereitung hätte defintiv stattfinden können. Studierende, welche zur Finanzierung ihres Studiums eigentlich auf Nebenjobs, etwa im geschlossenen Gastronomiebetrieb, angewiesen sind, bekommen wenig bis keine Unterstützung vom Staat. Ein Armutszeugnis eines Bildungssystems, welches sich zumindest auf dem Papier der Chancengleichheit verschrieben hat und nun erneut Studierende aus finanziell wohlhabenderen Haushalten bevorzugt. Auch die in Teilen Deutschlands beschlossene Pflicht zum tragen von FFP2-Masken offenbart erneut die Schwächen unseres Wirtschaftssystems: Denn all jenen, die ihren Beruf nicht im Homeoffice ausüben können, weiter normal arbeiten und sich der Infektionsgefahr aussetzen müssen, wird nun zusätzlich die finanzielle Last der zwar hochwertigeren aber erheblich teureren Maske auferlegt. Soll diese Maßnahme Wirkung zeigen, muss die Politik die Kosten der nicht lange haltbaren Masken tragen, ansonsten bleibt sie epidemologisch bedeutungslos und/oder eine Zumutung für finanziell schwächer Dastehende. Es lassen sich aus unserer Sicht noch viele weitere Punkte aufzählen unter denen Menschen in der Pandemiesituation finanziell und andersartig leiden, welche zur Ungunst der Betroffenen oftmals politisch eher halbherzig angegangen wurden. Auch auf die Sozialdemokrat*Innen der “Arbeiterpartei” SPD wird niemand mehr hoffen, der unter der aktuellen Situation leidet. 

Dieser Diskussion müsste sich eine Gesellschaft eigentlich stellen, insbesondere im Kontrast zum Eingriff in die individuelle Freiheit. Maßnahmen, die wir eigentlich von autoriären Regimen kennen – wie zum Beispiel Ausgangssperren – müssen debattiert werden und im Verhältnis zu Eingriffen in die wirtschaftliche Freiheit gestellt werden. Dieser Aufgaben haben sich linke Parteien und Gruppen zu spät gestellt, denn bis ins neue Jahr herrschte zu dieser Thematik nahezu politische und mediale Funkstille. 

Angesichts dessen begrüßen wir die Initiative “Zero Covid”, welche auch die notwendige Frage stellt, wer besonders unter den Maßnahmen leidet, und wer weiter Geld verdient und sich den Einschränkungen durch zum Beispiel die spontane Reise nach Dubai entziehen kann. Bei dem Vorschlag der Initiative handelt sich nicht um eine “halbtotalitäre Fantasie” wie die TAZ meint analysiert zu haben (5), sondern um die logische linksradikale Ergänzung einer “halbtotalitären” Realität. Dabei sollte klar sein: Das Ziel heißt null Infektionen. Für einen europäischen Shutdown!

Bannerdrop und die Lage der Dinge Ende 2020

Angesicht der aktuellen, auf uns oft bedrohlich wirkenden Entwicklungen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen – angefangen bei rechten Netzwerken in Polizei und Justiz, oft verbunden mit Repressionen gegenüber linken Menschen und Gruppen, über den Schulterschluss vieler rechter Gruppen mit vermeintlichen „Corona-Skeptischen“ bis hin zum schwierigen Kampf gegen den Klimawandel – wollen wir unseren Kopf nicht in den Sand stecken! Gerade dieser Tage finden wir es umso wichtiger als junge Menschen weiterhin unsere Meinungen auf die Straße zu tragen, unseren Unzufriedenheiten Ausdruck zu verleihen und unsere Vorstellungen eines guten Lebens sichtbar zu machen und klar zu formulieren.

Die Corona-Pandemie bestimmt unserer Leben in scheinbar allen Bereichen, jedoch werden die Grundlagen für ein besseres Leben gerade in dieser Krise auf vielfältigste Art und Weise bedroht. Damit Konzerne gerettet werden können, welche uns außer angeblich unverzichtbaren Arbeitsplätzen kaum einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen, müssen die Steuerzahlenden Unmengen an Geld bereitstellen.

Doch schlussendlich sind es die gutverdienenden Bonzen, welche in der Krise noch mehr Gewinn gemacht haben, die sich der gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Für die Bundeswehr wird jährlich das Budget um Milliarden erhöht, während uns vorgemacht wird, dass für das Bildungs- und Gesundheitssystem einfach nicht mehr Geld zur Verfügung steht. In den Parlamenten dieses Landes werden neue Gesetze zur Erweiterung der Befugnisse von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden ohne Notwendigkeit und unter diesen Umständen leider auch viel zu geringem Widerstand aus allen Lagern verabschiedet, welche die Freiheiten unserer Kommunikation und dem gesellschaftlichem und politischem Engagement auf ungeahnte Art und Weise beschränken werden.

Es mag leicht erscheinen, sich dieser Tage mit Konsum, Weihnachtstrouble und dem oberflächlichen Ärger über den fehlenden Weihnachtsmarkt abzulenken, während die öffentliche Debatte zusehends durch verkürzte Argumente vermeintlicher „Systemkritiker*innen“ bestimmt wird, halten wir es für wichtig gemeinsam ein Zeichen zu setzen und zu zeigen: Bochum bleibt stabil – zusammen für Antifaschismus und Feminismus, für Klimagerechtigkeit und Tiergerechtigkeit, für den bezahlbaren Wohnraum und gegen Rassismus, Sexismus und staatliche Übergriffe! Unsere Solidarität ihren Repressionen, denn Kämpfe verbinden! Gemeinsam für das gute Leben für Alle!

Geschichtsrevisionismus in Remagen entgegentreten!

An diesem Samstag, den 14.11 wird in Remagen (Rheinland-Pfalz) – trotz weiterhin hohen Corona-Fallzahlen und steigender Inzidenz in RLP – erneut ein Naziaufmarsch stattfinden. Das mittlerweile 13. Mal werden Faschist*innen jeglicher Couleur zu einem selbst ernannten „Trauer- und Gedenkmarsch“ durch die Stadt am Rhein ziehen, und dabei Gelegenheit finden nicht nur ihren Hass und ihre Hetze zu verbreiten, sondern auch sich untereinander zu vernetzen und ihre angebliche „Stärke“ auf der Straße zu präsentieren.

Unter der Ägide eines fatalen Geschichtsrevisionismus wird hier die Mär einer vermeintlich von Kriegsverbrechen freien Wehrmacht, die lediglich „Befehle ausführte“ und einem soldatischen „Ehrenkodex“ folgte propagiert. Negiert wird hierbei die Tatsache, dass sich die Wehrmacht von Beginn an, noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, aktiv an der Vorbereitung eines Vernichtungskrieges beteiligte, und sich bis 1945 massiv schuldig an willkürlichen Ermordungen, Massakern, sexualisierter Gewalt, Misshandlungen, Raub, Zerstörung von Kulturstätten, Menschenversuchen und unzähligen weiteren Taten machte. Nicht zuletzt waren Genozide, wie der Porajmos und die Shoa ohne Beteiligung der Wehrmacht kaum möglich, die hier in vielerlei, bedeutender Hinsicht bewusst am Völkermord mitwirkte. Eine Beschränkung der Verbrechen auf die SS bedeutet das Bestreiten ebendieser Taten.

Indem die Nazis in Remagen alliierte Kriegsgefangenenlager und das vermeintliche Leiden deutscher Soldaten dort in den Fokus stellen, ignorieren sie gleichzeitig das durch diese Soldaten verursachte unsagbare Elend und verharmlosen die Rolle und Verantwortung vieler, nur vermeintlich ‚einfacher‘, deutscher Soldaten. 2019 schafften es etwa 850 mutige Antifaschist*innen den circa 130 Nazis mit Blockaden, Demonstrationen und Kundgebungen den Tag zu vermiesen und gleichzeitig ein klares Zeichen gegen den angeblichen deutschen „Opfermythos“ zu setzen. Das Jahr 2020 hat uns bis jetzt, für viele leider wenig überraschend, gezeigt wie virulent und groß das Rechtsextremismus-Problem hierzulande aktuell ist – egal ob in Polizei, Justiz oder bei vermeintlich „unpolitischen“ bzw. „überparteilichen“ Veranstaltungen wie den Querdenkern – und wie überfordert die Zivilgesellschaft sich gleichzeitig oft mit Aufarbeitung und Widerstand dagegen zeigt. Die Proteste am 14.11. sollen einerseits den Aufmarsch der Nazis verhindern, gleichzeitig aber auch unserer wütender Aufschrei über rechte Netzwerke in Gesellschaft und Politik sein. Verschiedene Bündnisse unterschiedlicher Prägung werden daher am kommenden Samstag auf der Straße unterwegs sein: egal ob beim bürgerlichen „Tag der Demokratie“ mit Menschenkette und Mahnwache zum liberalen Wohlfühlen oder aktionsorientierter im Bündnis „NS Verherrlichung stoppen“ finden sich hier verschiedene Möglichkeiten, sich am Widerstand zu beteiligen und den eigenen Unmut auf die Straße zu bringen. Angemeldet ist eine Demo vom Bahnhof Remagen über den Jüdischen Friedhof bis zur Kapelle „Schwarze Madonna“, die einen offenen Charakter haben soll, aber gleichzeitig gewaltlos verläuft. Ein Hygiene- bzw. Corona-Konzept wurde erarbeitet und soll den gesundheitlichen Schutz aller Teilnehmenden sicherstellen. Wir freuen uns über jede*n, der die Reise nach Remagen am Samstag, 14.11 auf sich nimmt und ab 10:30 Uhr, in welcher Form auch immer, demonstriert.

Antikapitalismus

Warum machen wir das überhaupt? „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. / Aber ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ (Erich Fried) – Bildung sollte zentrales Element antifaschistischer Arbeit sein!

Versuch einer Annäherung über die Definition von „Kapitalismus“:

Kapitalismus, der: „(…) Begriff für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das private Eigentum an den Produktionsmitteln (…) [,] das Prinzip der Gewinnmaximierung und die Steuerung der Wirtschaft über den Markt typisch sind. (…) Die Masse der Arbeiter ist überwiegend besitzlos und von den (…) wenigen Kapitalbesitzern (…) abhängig. (…) Der Begriff Kapitalismus beschreibt die heute existierende marktwirt-schaftliche Wirtschaftsordnung der westlichen Industrieländer nicht richtig, da der Kapitalismus in seiner reinen Ausprägung durch ausführliche Sozial- und Wirtschafts-gesetze seit Langem überholt ist.“ (nach Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 26)

Sowohl das als „Kapitalismus“ bezeichnete System als auch sein scheinbar diametrales Gegenstück der „Anti-Kapitalismus“ sind stark konnotiert, ideologisch aufgeladen, vielfach (um-)gedeutet und andauernd diskutiert. Wie also kann man sich den Themenkom-plex (Anti-)Kapitalismus, zumal aus einer selbstverstandenen linken Perspektive, erschließen, in Kürze aufbereiten und auf seine wesentlichen Inhalte und Merkmale herunterbrechen?

Generell können wir die Annahme treffen, dass der Begriff Antikapitalismus vorerst all die Menschen meint, die das Gefühl haben, dass ein Großteil des Leidens auf der Welt durch das umspannende Sozial- und Wirtschaftssystem des Kapitalismus verursacht wird (Adamovsky, 2007). Antikapitalismus kann dabei viele Formen annehmen und findet sich bei Sozialist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, Femnist*innen, aber auch zunehmend in der sog. „Neuen Rechten“ (Körner, 2006). Wie bereits angedeutet, fassen wir unter dem Begriff des „Kapitalismus“ vorerst ein Gesellschaftssystem, d.h. die (historisch) bedingte Struktur und soziale Organisationsform aller zwischenmenschlichen Ver-hältnisse, geprägt durch das wechselseitige Handeln der Individuen, welche reziprok das Miteinander regulieren und ordnen sowie Handlungsorientierung bieten (Huinink & Schröder, 2008). Wir treffen hierbei die Annahme, dass eine kapitalistische Gesellschaft in erster Linie eine unterdrückende sei, da (soziale, politische, ökonomische…) Macht in diesem System ungleich verteilt ist. Genauer gehen wir davon aus, dass Unterdrückung im Kapitalismus über Klassen funktioniert, es also in unserer Gesellschaft Menschen gibt, denen durch Institutionen, Normen, der Historie oder konkret durch ihre Funktion oder ihrem Amt Macht verliehen wird, die es ihnen ermöglicht, über andere zu herrschen. Oftmals verbindet sich diese Klassenunterdrückung mit weiteren Formen, bspw. Sexismus, Antisemitismus oder Rassismus. Dieses System reproduziert sich im zeitlichen Verlauf beständig selbst, wobei die Besonderheit der kapitalistischen Unterdrückung in ihrer selbstreferentiellen Begründungsstruktur liegt, die in erster Linie auf ökonomischen Unterschieden fußt. Kapitalistische Systeme gliedern sich im klassischen Verständnis in die schon angesprochenen Klassen, die sich nach Besitzverhältnissen bzw. ökonomischer Stellung konstituieren. Kern kapitalistisch verfasster Systeme ist ein Dreiklang aus Lohnarbeit, Preisen und Profiten, was bedeutet, dass es im selben Atemzug einen anhaltenden als solchen wahrgenommen Mangel geben muss, damit es einen Anreiz zu Lohnarbeit gibt, damit Einzelne Profite erwirtschaften können, damit Preise künstlich hoch bleiben (Buttenmüller, 2017).

Wir wollen uns hier aber verstärkt alternativen, in erster Linie eben antikapitalistischen Ansätzen zuwenden. Zu Gute kommt uns hierbei, dass die Widersprüche schon grundlegend im Kapitalismus angelegt sind, ihm inhärent ist beinahe zwangsläufig der viel zitierte Klassenkampf. Die als wirtschaftliche „Freiheit“ getarnte Ausbeutung bedeutet für viele Menschen eben auch, dass sie nicht mehr autonom und selbstbestimmt entscheiden können, wo und vor allem wie sie leben wollen, was sie in ihrem Alltag tun möchten und wie sie ihre Zukunft gestalten möchten. Klassenkampf heißt für uns also das beständige Ringen zwischen Unterdrückung und Widerstand, zwischen Unterdrückern und Unter-drückten („Klassenkampf ist der Motor der Geschichte“ – K. Marx), dass parallel das kapitalistische System zwingt sich andauernd neu zu erfinden und anzupassen. Oftmals geschieht dies über eine doppelte, d.h. sowohl eine äußere (imperialistische) wie auch eine innere (Produkterweiterung) Expansion. Das andauernde und anhaltende Wachstum ist tatsächlich essentiell, um sich beständig neue „Märkte“ zu erschließen und gleichzeitig neue Arbeiter*innenmassen zu ‚produzieren‘, die sich einerseits von ihrem persönlichen Konsum sozialen Aufstieg und Zufriedenheit erhoffen, andererseits bereit sind, zu Dum-ping-Preisen für das System zu arbeiten.

Die Rolle des Staates im Kapitalismus ist umstritten, schwankt je nach Sichtweise und Verständnis zwischen neutral, unterstützend und widerstrebend, er soll daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden (Demokratiedebatte); bei Marx eher Skepsis (“Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet.”), für viele Antifa-Gruppen ist der Staat bzw. seine Herrschaft eher negativ konnotiert, und wird häufig auf eine verhältnissichernde Rolle reduziert (AAB-Nbg, 2020). Hieran anknüpfend, wäre auch eine Diskussion um den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus denkbar („Wer also vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ – M. Horkheimer).

Zusammenfassend müssen wir also feststellend, dass die Ideologie des Kapitalismus sich im alltäglichen Individualismus, in der Entfremdung des Menschen von sich selbst, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen sowie in Erfolgskult, Konsumdenken, Warenförmigkeit und Produktfetisch, in Konformismus und Passivität manifestiert und hierbei sämtli-che Bereiche des Miteinanders, des Lebens und des Denkens infiltriert hat. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und autoritäre Machtstrukturen sind nur einige Beispiele für seine gesellschaftsverändernde Wirkung (AAB-Nbg, 2020) Die meisten Menschen haben seine Grundprinzipien längst internalisiert und halten sie für alternativlos, das System des Kapitalismus ist somit total.

Antikapitalistische Haltungen sind aber mindestens ebenso alt wie der Kapitalismus selbst, seine Wurzeln lassen sich im Humanismus und in der Aufklärung sowie im Rahmen der französischen Revolution von 1789 finden, beschäftigten sich damals aber in erster Linie mit philosophischen Gedanken zur Freiheit des Menschen (Rousseau) sowie mit Alternativen zu damals vorherrschenden Monarchien (Diderot). Antikapitalismus im „modernen“ Verständnis findet sich daran anknüpfend in früh-sozialistischen Schriften, die eine gesellschaftliche Organisation fernab von Unterdrückung suchten und in erster Linie durch Erfahrungen mit (früh-)industrieller Arbeit geprägt waren. Hier könnte man nun mit einer kurzen Geschichte des Sozialismus fortsetzen, aufgrund der Kürze der Zeit wenden wir uns aber vorerst der Moderne zu und ‚überspringen‘ einige Jahrhunderte. Nach Buttenmüller (2017) bedeutet Antikapitalismus im eigentlichen Sinne grundlegend das Ersetzen des Systems aus Löhnen, Preisen und Profiten durch ein Anderes, dass für den Menschen und nicht für den „Markt“ produziert, also eine Produktion, deren Erzeugnisse sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher*innen beziehen und die eben nicht durch Zwang hergestellt worden. Für ihn geht es also in erster Linie lediglich um eine wirtschaftliche Alternative, der gesellschaftliche Anspruch des Kapitalismus wird dabei negiert. Die rein ökonomische Herangehensweise ist sicherlich auch eine notwendige, aber keine alleinig Hinreichende, im Gegenteil: Hier liegt sogar eine ganz besondere Gefahr. An ebensolche Annahmen knüpfend zunehmend Rechte jeglicher Couleur an und versuchen einen „Anti-Kapitalismus von Rechts“ zu prägen, der in erster Linie Kapitalismus als kulturellen und sozialen „Verfall“ bewertet und ihm einen „deutschen Sozialismus“ entgegenstellt, der „national“ und somit gegenläufig zu Globalisierungstendenzen sei. Kernausdrücke sind hier die Unterteilung in sog. „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital. (Heine, 2007).

Der Vormarsch des Kapitalismus scheint oftmals unaufhaltsam, viele Länder folgen neo-liberalen, vulgo: kapitalistischen, Theorien und bauen Wohlfahrtsstaaten, bei einer gleichzeitigen Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmer*innen, ab. Ihren ideologi-schen Tiefpunkt finden anti-kapitalistischen Annahmen in Fukuyamas „Ende der Geschichte“ (1992) nach dem Zusammenbruch real-sozialistischer Alternativsysteme und seiner Annahme, dass der Kapitalismus das Beste aller möglichen Systeme darstellt.

Aus heutiger Sicht können wir allerdings guten Gewissens behaupten: der Kapitalismus kann niemals sozial sein und er kann auch niemals nachhaltig sein. Er produziert nicht für den Menschen, er produziert für den Markt und für Profit. Der Mensch arbeitet hierbei nicht mit- sondern gegeneinander. Ansätze zu Alternativen aber können wir jetzt schon in unserem Alltag sehen: in Umsonst-Läden, in einer solidarischen Ökonomie und in einer geteilten und gelebten Solidarität, die es schafft, sich einer systeminhärenten Verwertungslogik zu entziehen und sich den Regularien des Marktes eben nicht unterwirft, sondern sie im Gegenteil aktiv in Frage stellt.

Antikapitalismus bedeutet erneut den Kampf um die Befreiung des Menschen zu wagen und der Spaltung der Gesellschaft entgegen zu treten.

Literatur:

Adamovsky, E. (2007): „Antikapitalismus für Alle: Die neue Generation emanzipatorischer Bewegungen“. Berlin: Karl-Dietz Verlag.

Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg (2020): „Wo immer sie versuchen sich zusammenzurotten, be-kommen sie Ärger.“ In: Autonomie Magazin, Ausgabe 02/20

Bauer, M. & Pollert, A. & Kirchner, B. & Pollert, M. (2016): „Das Lexikon der Wirtschaft“. Bonn: Bun-deszentrale für Politische Bildung

Buttenmüller, S. (2017): „Eine Begriffsbestimmung: Wer ist Antikapitalist?“. In: Scharf Links – die neue linke Online-Zeitung, Online-Ressource: http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=61736&cHash=3841120537 (zuletzt abgerufen am 17.02.20) Heine, T. (2007): „Antikapitalismus von Rechts: NPD und Kameradschaften haben die Kapitalismuskritik für sich entdeckt“. In:. ak – analyse&kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, No. 515

Huinink, J. & Schröder, T. (2008): „Sozialstruktur Deutschlands“. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft

Hutter, R. (2011): „Debatte Begriffsdefinition: Antikapitalismus“. In: taz – die Tageszeitung, Online-Res-source: https://taz.de/Debatte-Begriffsdefinition/!5128052/ (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Körner, F. (2006): „Antikapitalismus von Rechts?“. Antifaschistisches Info-Blatt. Online-Ressource: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/antikapitalismus-von-rechts (zuletzt abgerufen am 17.02.20)

Zitelmann, R. (2019): „Die Renaissance des Antikapitalismus“. In: The European – Das Debatten-Mag

Kurze Geschichte des 1. Mai


Geburtsort: USA

Im Jahr 1886 streikten rund 400.000 Arbeiter*innen am so genannten „Moving Day”, der Tag an dem üblicherweise Arbeitsverträge erhoben wurden, abliefen oder neue entstanden. Vom Pazifik bis zum Atlantik kämpften die Arbeiter*innen für die Einführung des Acht-Stunden-Tages. Ein gewagter und doch wichtiger Schritt, wenn man bedenkt, dass noch in den 1860er Jahren der durchschnittliche Arbeitstag bei dreizehn Stunden lag. Trotz der lauten Stimmen im ganzen Land, der Hinrichtung von vier Gewerkschaftsführern durch Erhängen und des Todes von sieben Polizisten in Folge einer ungeklärten Explosion am Haymarket in Chicago, änderte dieser 1. Mai verhältnismäßig wenig: Nur für 20.000 der 400.000 Arbeiter*innen konnte der Acht-Stunden-Tag durchgesetzt werden.


Der 1. Mai in Deutschland

Vom 14. bis zum 19. Juli 1889 fand der „Pariser Arbeiterkongress“ statt. Ein Kongress, dessen Beschlüsse noch heute stark nachhallen. Nicht nur wurde auf dem Kongress die „Zweite Internationale“ gegründet, an der der zu dem Zeitpunkt der 69-jährige Friedrich Engels maßgeblich mitwirkte, wenn auch aus dem fernen London, auch der internationale Tag der Arbeit fand dort seinen Ursprung.
Der 1. Mai entstand als internationaler Protesttag im Kampf für den Acht-Stunden-Tag, dieser sollte zunächst im darauffolgenden Jahr 1890 als einmalige Aktion stattfinden. Der Klassenkampf zeigte sich nicht nur durch Bismarcks „Sozialistengesetz“, der jegliche marxistisch orientierte Bewegung verbot und die Sozialdemokratie nur im Reichstag duldete, auch kündigten die Unternehmerverbände an, ihre altbekannte Waffe einzusetzen: Entlassungen.

Mit den so genannten „Schwarzen Listen“ organisierten sich die Unternehmer*innen, um unerwünschte Demonstranten*innen von der Möglichkeit einer Arbeit auszuschließen. Nichtsdestotrotz fanden deutschlandweit mehr als 100 000 Arbeiter*innen den Weg auf die Straßen. In Halle beschloss die SPD 1890 den 1. Mai zum „Feiertag der Arbeiter“ zu machen, was aber auch durch den Zusammenbruch der „Zweiten Internationalen“ nach dem Ersten Weltkrieg widerrufen wurde. Dieser Entschluss brachte weitreichende Konsequenzen für die deutsche Arbeiterbewegung mit sich, so kam es unter Anderem zu großen Meinungsunterschiede in der Reihen der SPD bzw. zwischen SPD und der aus ihr hervorgegangen „Unabhängigen SPD“. Es waren die Kommunisten, genauer der Spartakusbund, welcher später in die KPD aufging, die sich 1916 für die Fortsetzung des 1. Mai als Feiertag der Arbeiter einsetzten.
In der Weimarer Republik konnte der 1. Mai als offizieller Tag nicht weiter fortgesetzt werden, zwar konnte die SPD zusammen mit dem ADGB („Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund“) für das Jahr 1919 den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag erklären, dies aber nicht aufrechterhalten.
Der 1. Mai des Jahres 1929 ging als „Blutmai“ in die Geschichte ein:
Die KPD rief in Berlin zu Protesten auf, allerdings waren durch den Berliner Polizeipräsidenten und den preußischen Innenminister politische Versammlungen in der Öffentlichkeit verboten worden. Die Polizei ging von Anfang an äußerst brutal gegen Demonstrierende vor. Das Resultat waren 33 getötete Demonstranten*innen, 198 verwundete Demonstranten und 47 verletzte Polizisten. Wie die Zahlen schon erahnen lassen, war dieser Tag von einer unverhältnismäßigen Polizeigewalt geprägt.

Die Zeit des Nationalsozialismus bedeutete für die deutsche Arbeiterbewegung eine Zeit der Verfolgung und der Verzerrung.
Die Nazis waren zwar stark an den Arbeitern*innen interessiert, die Gewerkschaften standen ihnen hierbei jedoch im Weg. Auf Befehl von Hitler wurden am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser besetzt und ihre Mitglieder in „Schutzhaft“ gebracht. Viele von ihnen erlebten ihre letzten Tage unter unmenschlichen Bedingungen in den Konzentrationslagern der Nazis.
Der 1. Mai wurde in diesem Rahmen vollkommen instrumentalisiert. Hitler erklärte ihn zwar zum gesetzlichen Feiertag, missbrauchte ihn aber vor Allem zu propagandistischen Zwecken, so wurde dieser zum „Nationalen Tag der Arbeit“ umgedeutet.
In Berlin fand 1933 auf dem Tempelhofer Feld eine große Veranstaltung der Nazis statt, an der nach eigenen Angaben 1,5 Mio. Arbeiter*innen zur Teilnahme verpflichtet wurden, und die viel mehr an eine Militärparade erinnerte.
Die gesamte Arbeiterschaft sollte in das nationalsozialistische Konzept der „Volksgemeinschaft“ eingegliedert werden.

Mit der Teilung Deutschlands im Jahr 1949 in DDR und BRD kam es zu großen Unterschieden in der Ausführung und im Verständnis des 1. Mai in den beiden deutsche Staaten, auch auf staatlicher Ebene. In der DDR wurde der 1. Mai zum staatlichen Feiertag und die Teilnahme an den Demonstrationszügen Pflicht.
Dies wurde staatlich kontrolliert, so mussten beispielsweise die Arbeitgeber Listen führen, aus denen hervorging, wer am 1. Mai teilnahm und wer nicht erschien. Entschied man gegen die Teilnahme, so lief man Gefahr negativ aufzufallen. Der Begriff „Demonstrationszug“ beschreibt hier aber nicht die tatsächliche Intention des 1. Mai, dieser war also kein Tag an dem die Arbeiter*innen für ihre Rechte kämpften, sondern ein Tag an dem die Staatsführung wirtschaftliche Erfolge und militärische Macht präsentierte.
In Hinblick auf den Kalten Krieg zwischen den USA und der UdSSR prägten Militärparaden das Bild des 1. Mai besonders in den Staaten des Warschauer Paktes maßgeblich. Diese „Tradition“ fand aber mit der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)“ sein Ende, sodass die letzte Militärparade im Jahr 1976 stattfand.
In den letzten Jahren der DDR wandelte sich der 1. Mai ein Stück weit zum Familientag, an dem es Imbissessen und kostenlose Bratwurst gab.
Ähnlich, aber in einem größeren Umfang verhielt es sich mit dem 1. Mai in der BRD.
In Westdeutschland war der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) häufig der zentrale Organisator des 1. Mai bzw. offizieller Feierlichkeiten.
Man entschloss sich den 1. Mai in Verbindung mit anderen kulturellen Angeboten zu setzten, trotzdem (oder gerade: deswegen?) schwankte die Anzahl der Teilnehmer von Zeit zu Zeit stark. Es entstanden neue gesellschaftliche Bewegungen, die mit dem von der DGB organisierten Tag der Arbeit konkurrierten und diesen Ende der 70er Jahren sogar von der Straße in den Saal verdrängten.
Dennoch konnte auch diese Kluft zwischen Neuem und Altem überwunden werden und der Kampf um soziale Gerechtigkeit und Rechte weitergeführt werden.

Die Geschichte der Gewerkschaften in Deutschland bringt viele Kinder mit sich:
Der Kündigungsschutz, die Fünf-Tage-Woche mit freien Wochenenden, der Acht-Stunden-Tag, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der bezahlte Jahresurlaub und Urlaubsgeld, der Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz sind nur einige der Erfolge eines
langen Kampfes, dessen Tag schon immer der 1. Mai gewesen ist!

Und heute? Wer glaubt, man könne sich auf diesen Erfolgen ausruhen irrt genauso wie diejenigen, für die der 1.Mai vor allem sozialpartnerschaftliches Bratwurst essen und Bier trinken mit den Genoss*innen bedeutet! Natürlich ist ein „eigener“ Feiertag eine gute und richtige Angelegenheit, doch ist die Situation auch hierzulande alles andere als perfekt; mehr und mehr Menschen sind prekär beschäftigt, wissen auch in einem eigentlich ach-so-reichen Land nicht, wie sie die Miete im nächsten Monat bezahlen sollen, leben von Mini-Jobs und müssen sich erniedrigen und nach Aufstockung vom Amt fragen. Nebenbei verhindern große Konzerne immer wieder mehr oder weniger erfolgreich die Organisation der Arbeiter*innen im Betrieb und lehnen Verhandlungen mit Gewerkschaften um einen Tarifvertrag ab. „Union Busting“ auch in Deutschland? Was lange Zeit für eine überzogene Angst vor amerikanischen Verhältnissen galt, ist mittlerweile bei Amazon und Co traurige Realität geworden. Auch bei der Gleichstellung der Geschlechter tut sich hierzulande wenig, 2019 verdienten Frauen im Durchschnitt immer noch 21% weniger als Männer bei gleicher Qualifikation. Moderne Arbeitnehmer*innen sind gefangen in einem Kreislauf aus ewiger Selbstoptimierung, „Work-Life-Balance“ und verinnerlichtem Konkurrenzdenken, vollkommen entfremdet vom eigentlichen Produkt der Arbeit und dem Sinn und Zweck ihrer Tätigkeiten. An dieser Stelle sollte man auch nicht vergessen, was deutsche Unternehmen und die von Deutschland forcierte Austeritätspolitik für Arbeiter*innen in anderen Ländern bedeuten bzw. wie Arbeiter*innen aus diesen Ländern hierzulande behandelt werden, wenn rumänischen Erntehelfer*innen von deutschen Landwirten die Pässe abgenommen werden.

Währenddessen lassen wir in Moria und in weiteren Lagern an den EU-Außengrenzen Menschen unter erbärmlichen Bedingungen verrecken, anstatt ihnen beizustehen und die so dringend benötigte Solidarität zu zeigen. Auf dem Gründungskongress der bereits erwähnten „Zweiten Internationalen“ wurde der 1.Mai u.a. zum Gedenken der Opfer des Haymarkets zum Kampftag ernannt – Heute ist es aktueller denn je Solidarität mit den Opfern der europäischen Grenzpolitik zu zeigen und wachzurütteln. Der Erste Mai ist und bleibt Kampf- und kein Feiertag!


Die Bedeutung von Rechten, die heute selbstverständlich sind, lässt sich nur aus dem Mut, der Kraft, der Organisationsfähigkeit, der Solidarität und dem Wunsch nach einer sozial orientierten Gesellschaft vieler Menschen verstehen, die Jahr für
Jahr am 1. Mai den Weg auf die Straßen fanden und finden!

Weiter lesen:

Deutscher Gewerkschaftsbund: „Geschichte des 1.Mai: Vom Kampftag zum Feiertag“, unter: https://www.dgb.de/themen/++co++d199d80c-1291-11df-40df-00093d10fae2

Corona-Virus, Kapitalismus und Krise: Versuch einer Einordnung


Durch den Kapitalismus werden Probleme der Corona-Krise ungerecht verteilt, sozial schwache Menschen trifft sie am stärksten. Außerdem werden durch die Fokussierung auf Profit und Effizienz sowie den Erhalt der Wirtschaft Maßnahmen gegen das Virus erschwert. Im Vordergrund stehen nicht Gemeinwohl und Bedürfnisse des Einzelnen, sondern die Erhaltung des Kapitals. Die momentane Krise zeigt uns, dass wir nur wenn wir den Kapitalinteressen den Rücken kehren und in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien einstehen, ein gutes Leben für alle erreichen können.

Mit den folgenden Thesen wollen wir Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Politik der letzten Jahre geben.


  1. Die Krise trifft die am stärksten, die am wenigsten haben:

    Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Die Betriebe müssen also die Produktion zurückfahren, Menschen werden entlassen. Dabei sind Menschen ohne feste Anstellung wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende und Saisonarbeiter*innen als erstes betroffen.

  2. Logische Maßnahmen gegen das Corona-Virus sind nicht für alle möglich:

    Menschen können ihre Arbeit nicht einstellen und sich zuhause isolieren, da sie ihr Einkommen zum Überleben benötigen. Denn nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen.

  3. Durch Privatisierung und Zwang für wirtschaftliche Effizienz wurde an medizinischer Versorgung gespart:

    Chronische Unterbesetzung in der Pflege wegen schlechter Bezahlung und fehlendem Pflegeschlüssel, Schließung kleiner Krankenhäuser besonders in ländlichen Regionen wegen wirtschaftlicher Ineffizienz und die Finanzierung der Krankenhäuser nach einer Fallpauschale erschweren die Bekämpfung des Virus.

  4. Profitorientiertes Gesundheitssystem erschwerte die Vorbereitung auf Ausnahmesituationen:

    Mit der Fallpauschale erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale pro behandeltem Menschen, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Es wird also eine möglichst hohe Fallzahl mit möglichst geringer Liegedauer angestrebt, die Kosten werden so gering wie möglich gehalten. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.

  5. Die meisten Erkrankungen der letzten Jahre wie Vogel- und Schweinegrippe, Ebola, Sars und auch Corona sind nach UN-Landwirtschaftsorganisation FAO vom Tier auf den Menschen übergesprungen:

    Der weltweit extreme Profitdruck ist Auslöser für auch hierzulande prekäre Bedingungen in der Tierhaltung. Selten entsorgte Exkremente und ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben sowie mangelnde veterinärmedizinische Betreuung bieten den perfekten Nährboden für Krankheiten. Die Viren springen schnell von Tier zu Tier und somit von Betrieb zu Betrieb wobei sie selten entdeckt werden.

  6. Ohne Umdenken werden immer wieder neue zoonotische Erkrankungen entstehen:

    Das System hält die Nachfrage an tierischen Produkten hoch, um den Profit zu maximieren. Unterstützt wird es dabei durch geringe staatliche Kontrolle, niedrige Bedingungen für die Nutztierhaltung sowie Verbraucher*innen, die ihr Verhalten nicht ändern.

  7. Verhalten wie Hamsterkäufe zeigen den verinnerlichten Egoismus im Kapitalismus:

    Im kapitalistischem System gilt Leistung und Profitmaximierung als Überlebensversicherung. Die Konkurrenz ist groß, jeder sorgt zuerst für seinen eigenen Bedarf. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Dieses Konkurrenzdenken breitet sich auf alle Lebensbereiche aus, Musik verliert ihren Selbstzweck und wird zum Geschäftsmodell und der menschliche Körper wird zur Werbetafel. Die Hauptsache ist und bleibt der eigene Vorteil, auch beim Kaufen von Klopapier.

Corona-Virus, Kapitalismus und Krise Versuch einer Einordnung

Mit den folgenden Texten wollen wir, unserem Selbstverständnis linker Theoriearbeit folgend, einen kurzen Überblick über die Zusammenhänge des aktuellen Ausnahmezustandes, bedingt durch das Coronavirus, und kapitalistisch-neoliberaler Austeritätspolitik der letzten Jahre geben. Egal ob Spiegel, Taz, Freitag, FAZ oder gar Welt: die Medien kennen nur noch ein Thema: das Sars-CoV-2-Virus und die dadurch ausgelöste Covid-19 genannte Krankheit. Neben ständigen Sachstandsmeldung der noch so kleinsten Veränderung dominiert vor allem ein Ressort: die Wirtschaft! Wie arbeite ich am Effektivsten von zu Hause aus? Wie halte ich die Kinder beschäftigt, damit ich so viel Zeit wie möglich für meinen Job habe? Im Fokus steht hier, altbekannt, aber dadurch nicht weniger tragisch, nicht der Mensch oder das Menschliche, sondern nach wie vor die Frage nach Warenförmigkeit, Systemanpassung und anhaltender Kapitalakkumulation. Das Nicht-Reagieren supranationaler Organisation und Verbände, die schwindende bis fehlende Solidarität von Nationalstaaten untereinander und der kontinuierliche Rückbau von Grundrechten bei Wiederaufbau von klaren Grenzen gerät dabei immer mehr ins Hintertreffen. Unsere Texte erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch können sich Fakten, die wir hier erwähnen, im Moment des Lesens schon wieder verändert haben: zu schnelllebig ist die aktuelle Lage, um sämtliche Aspekte konsequent abdecken zu können. Liefern wollen wir viel eher einen Blick für die größeren Zusammenhänge sowie Denkanstöße geben, wie eine andere solidarische Gemeinschaft ausschauen könnte. Es entbehrt leider einer gewissen Ironie nicht, dass unser erster Anknüpfungspunkt auch hier das bestehende Wirtschaftssystem darstellt, und so wollen wir auch beginnen mit einer Einlassung zu den Widersprüchen vom Kapitalismus in der Krise.

Folgen der Corona-Krise: Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche


Die globale Ausbreitung des Coronavirus hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen.

Weil Menschen an dem Virus erkranken oder als Schutzmaßnahme in Quarantäne müssen, stehen sie nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung. Es kann dementsprechend nicht mehr so viel produziert werden. Gleichzeitig sinkt aber auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Wer gerade in Quarantäne ist und Sorgen um die Zukunft hat, wird sich vermutlich kein neues Auto kaufen. Vereinfacht bedeutet dies, dass Betriebe wegen der beiden Entwicklungen ihre Produktion zurückfahren müssen und damit Menschen auf lange Sicht entlassen werden.
Die ersten Betroffenen sind Menschen ohne feste Anstellungen wie Leiharbeiter*innen, Kulturschaffende, Saisonarbeiter*innen. Diese werden direkt entlassen oder werden bei Honorarbezahlungen nicht mehr gebucht. Menschen, die sowieso schon wenig haben, werden mit existenziellen Fragen konfrontiert.

Und auch wenn Niemandem aufgrund der Krise die Wohnung gekündigt werden soll, gilt weiterhin: nur wer im Beruf genug Einkommen erzielt, kann ein gutes Leben ohne Sorgen führen. In Krisensituationen wird dieses Prinzip deutlich spürbar. Wie stark die Konsequenzen für jede*n Einzelne*n sein werden, kann noch niemand genau sagen. Doch eine Sache ist sicher: die nächste Wirtschaftskrise steht somit bereits vor der Haustür.

Dabei könnte doch alles so einfach sein! Logisch wäre es doch, wenn möglichst alle Menschen ihre Arbeit einstellen, soziale Kontakte zurückfahren und der Virus sich langsam ausbreitet, sodass die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Ausgenommen vom Arbeitsstopp wären die Menschen, die Nahrungsmittel produzieren oder im Gesundheitssystem arbeiten. Haben ca. 70% der Bevölkerung die Erkrankung überstanden und dadurch eine Immunität ausgebildet, wäre der ganze Spuk vorbei. Alle gehen danach wie gewohnt zur Arbeit und das Leben geht weiter. In einer Gesellschaft, die sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen der Einzelnen orientiert, wäre dieses Vorgehen möglich. Leider ist es in einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft nicht so einfach. Ist der Virus überstanden sind die wirtschaftlichen Probleme noch lange nicht vorbei!

Um zu erklären, warum das so ist, wird es etwas komplizierter. Unternehmen ohne Einnahmen müssen weiterhin Miete für ihre Gebäude zahlen. Außerdem sind sie verpflichtet Zinsen für ihre Anleihen zu zahlen, d.h. Abgaben an ihre Kapitalgeber*innen zu leisten. Dieses Problem berührt den Kern des kapitalistischen Systems. Die Wertschöpfung wird weitergegeben. Vermieter und Banken ziehen Miete und Zinsen von Unternehmen ab, die wiederum den Mehrwert aus der Arbeit gewinnen. Der Mehrwert ist die Grundlage der Kapitalakkumulation. Fällt die Wertschöpfung weg, so gerät das System ins Stocken. Firmen gehen Bankrott und ein Großteil der Produktivkraft geht verloren. Zur Erhaltung des Systems kommt jetzt der Staat ins Spiel. Dieser hat die Möglichkeit größere Konzerne vor dem Bankrott zu retten. Durch die Vergabe wirtschaftlicher Finanzspritzen wird die Wertschöpfung wieder in Gang gesetzt. Leidtragende bleiben dabei die Arbeiter*innen, sie haben durch die fehlenden Rücklagen und prekären Beschäftigungen kaum Schutz vor der Krise und außerhalb der Krise wird ihnen gerade so viel zugestanden, wie gesellschaftlich zur Reproduktion notwendig ist.


Für uns ist klar. Die Folgen der Corona-Pandemie machen den Wahnsinn und die Irrationalität unseres Wirtschaftssystems deutlich. Der Kapitalismus ist die Krise!

Was der aktuelle Ausnahmezustand für das Pflegepersonal in vielen Ländern der Welt bedeutet, kann man momentan gut an, in den sozialen Medien tausendfach geteilten, Artikeln zum Umgang mit ebenjenem beobachten: da werden Krankenschwestern bespuckt, da stehen Ärztinnen vor leeren Regalen, weil sie nach einer 12-Stunden Schicht nur noch am späten Abend einkaufen können. Daher möchten wir im folgenden Text einen Blick auf das Gesundheitssystem und seine Lage werfen.

Probleme des Gesundheitssystems anhand der momentanen Krise

Mit dem Ausbruch des Coronavirus werden uns die Grenzen unseres profitorientierten Gesundheitssystems aufgezeigt. Wir alle werden angehalten uns in Isolation zu begeben, solange es nicht doch einen Konflikt mit der kapitalistischen Wertschöpfungskette gibt, um die Versorgung der Erkrankten nicht mit zu vielen Infizierten gleichzeitig zu überlasten. Eine Katastrophe mit Ankündigung! Jahre-, wenn nicht jahrzehntelang, wurde durch die Privatisierung und Ausrichtung auf maximale wirtschaftliche Effizienz an allen Ecken und Enden unserer medizinischen Gesundheitsversorgung gespart und es fand und findet kaum eine Orientierung an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen statt.

Pfleger*innen schreien seit Jahren nach Aufmerksamkeit für ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die Auswirkungen dieser auf die Versorgung der Patient*innen. Durch schlechte Bezahlung und keine festen Pflegeschlüssel von Pfleger*in zu Patient*in gibt es in deutschen Krankenhäusern eine mittlerweile chronische Unterbesetzung. Die Politik begegnet dem gekonnt mit Ignoranz oder Worthülsen und leeren Versprechungen, anstatt den Fachkräftemangel auf diesem Gebiet zum Wohle aller mit angemessen Löhnen und verbesserter Ausstattung zu bekämpfen. Des Weiteren sehen wir uns in Deutschland einem regelrechten Krankenhausschließungswahn gegenüber. Kleinere Krankenhäuser, besonders in ländlichen Gebieten, wurden aufgrund geringer Wirtschaftlichkeit reihenweise geschlossen oder sollen es den Plänen neoliberaler Thinktanks nach lieber heute als morgen tun. Dabei werden so Kapazitäten abgebaut, die wir nicht nur in Fällen wie dem Jetzigen dringend benötigen, sondern auch sonst für eine flächendeckende, menschenorientierte Krankenversorgung. Die Einsparungen auf dem Rücken der überwiegend dort arbeitenden Menschen, sowie uns allen, potenziellen Patient*innen, kommen zum großen Teil aus dem Zwang möglichst wirtschaftlich effizient handeln zu müssen. Besonders bei dem immer größer werdenden Anteil privater Krankenhäuser stehen Gewinne für private Eigentümer an oberster Stelle. Hinzu kommt die Finanzierung der Krankenhäuser auf Grundlage des Fallpauschalen-Systems. Pro behandelten Menschen erhalten die Krankenhäuser eine feste Pauschale, welche oft jedoch nicht die tatsächlichen Kosten der Betreuung abdeckt. Dies gilt vor allem bei behandlungs- und pflegeintensiven Patient*innen und hat zur Folge, dass zum einen Verkürzung der Liegedauer bei möglichst hoher Fallzahl angestrebt wird und zum zweiten Kosten in allen Bereich möglichst gedrückt werden. Vorbereitungen auf Ausnahmesituationen wie dem Ausbruch von Epidemien oder Pandemien durch erweiterte Kapazitäten an Betten, Personal und Material an Schutzausrüstung hat dort schon gar keinen Platz mehr.

Haben wir uns als Gesellschaft in der Vergangenheit zu wenig mit diesen Thematiken beschäftigt, geschweige denn den Regierenden unseres Landes klargemacht, welche Prioritäten wir bei der Gestaltung unseres Gesundheitssystems bevorzugt wissen wollen, so sehen wir uns jetzt im Angesicht der Corona-Pandemie einem im Neoliberalismus gediehenem System gegenüber was uns Angst macht und uns Teile unserer Freiheit und Zuversicht raubt. Die momentane Krise zeigt uns auf, dass wir in Zukunft mehr für solidarische Grundprinzipien und ein gutes Leben aller einstehen sollten und der bestehenden Politik im Sinne von Kapitalinteressen den Rücken kehren sollten, ja sogar: müssen!

Wir bleiben beim Thema Gesundheit und möchten im nächsten Text einen Blick auf das Thema Tierproduktkonsum und Krankheit werfen.

Viel wurde schon über den Anfang der Pandemie geschrieben: ob Fledermaus oder Pangolin-Schuppentier; fest steht mittlerweile, dass das Virus wie so viele Erkrankungen der letzten Jahre vom Tier auf den Mensch übergesprungen und in ihm mutiert ist. Etwa 70% aller neu auftauchenden Erreger – sei es nun die Vogel- oder Schweinegrippe, Ebola oder Sars, so glaubt zumindest die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, sind auf diesem Wege entstanden. Neben dem offensichtlichen Ursprung, nämlich dem nach wie vor weltweit ansteigenden Fleischkonsum, liegt der Auslöser vor Allem in den auch hierzulande prekären Bedingungen der Massentierhaltung. Unglaubliche 80% aller weltweit verfügbaren Antibiotika werden mittlerweile in ebendieser eingesetzt – und einen anderen Weg sehen die Mastbetriebe auch kaum, vegetieren die Tiere (von „leben“ kann keine Rede sein) doch dicht an dicht vor sich hin und erwarten ihre Schlachtung. Von der CO2-Billanz der Rinderzucht, eine weitere Problelage, soll an dieser Stelle gar nicht die Rede sein, doch auch so zeigt sich das Dilemma des steigenden Konsums und des fehlenden Umdenkens exemplarisch an der Tierzucht. Tonnen von selten entsorgten Exkrementen, fehlende, ja gar unerwünschte Kontrollen durch den Staat, ein ständiger Austausch von Tieren zwischen Zucht- und Mastbetrieben und keine veterinärmedizinische Betreuung sind ein geradezu perfekter Nährboden für Krankheiten aller Art. Die gern und reichlich zugefütterten Antibiotika lösen das Problem nicht, wirken sie doch einerseits nicht gegen Viren, wie das aktuell kursierende, noch bekommen die Tiere genug um wirklich nachhaltig bakterielle Infektionen zu verhindern oder zu bekämpfen. In erster Linie sollen die Antibiotika nur das Wachstum beschleunigen und fördern, damit die Tiere beständig ihr Schlachtgewicht erreichen. Multiresistente Bakterien werden so eher begünstigt.
In den oben beschriebenen schlechten Zuständen springen Viren schnell von Tier zu Tier und von Betrieb zu Betrieb und werden nur seltenst entdeckt.
Ein System, welches die selbst erzeugte Nachfrage beständig hoch hält, um den eigenen Profit zu maximieren und staatliche Kontrollorgane bzw. Behörden, die hier wegschauen und die Bedingungen der Nutztierhaltung niedrig halten sowie auch Verbraucher*innen, die weiterhin in großem Maße nicht bereit sind, Alternativen auszuwählen, tragen hier unter Anderem Schuld an diesen Zuständen.
Solange an dieser Stelle kein Umdenken stattfindet, so lange werden wir mit dem beständigen Entstehen zoonotischer Erkrankungen, die mitunter unsere gesamte Gesellschaft bedrohen, leben müssen.


Zu guter Letzt kommen auch wir nicht umhin, uns einem rar gewordenen und hart umkämpften Rohstoff zu widmen: dem „weißen Gold“: das Toilettenpapier! Aktuell wohl der beliebteste Gegenstand bei Hamsterkäufen, spiegelt sich hier doch der von vielen bereits verinnerlichte Egoismus im Kapitalismus wider.

Coronavirus – Hamsterkäufe, eine notwendige Folge des Systems?

Manche lachen über die Panik der Menschen in den Supermärkten, manche verfallen selbst in Angst, aber jeder von uns bekommt mit, wie Menschen nach Klopapier schreien, wie Drogenabhängige nach Kokain.
Ein komischer Vergleich, aber genau wie in der Drogenabhängigkeit, kennt der Hamsterkauf nur seinen eigenen Bedarf.

Aber: Wer oder was führt den Menschen zu diesem zwanghaften Verhalten?
Nun gut, wir leben in einer Gesellschaft, die den Egoismus zum wirtschaftlichen Treibstoff erklärt hat. Bin ich Unternehmer*in, konkurriere ich gegen andere Unternehmen um das Überleben auf dem Markt. Profitmaximierung wird so zu meiner Lebensversicherung. Bin ich Arbeiter*in, so bin ich Bäuer*in des Unternehmers auf dem Schachbrett des Marktes. Um nicht als Erster geopfert zu werden, konkurriere ich gegen andere Arbeiter*innen. Leistung und Konkurrenzfähigkeit werden zu meiner Lebensversicherung.

Da wir leider nicht über eine spannende Schachpartie reden, sondern über das System, in dem sich unser menschliches Dasein entfaltet, dringt diese Mentalität der Konkurrenz in jeden nur erdenklichen Bereich den Lebens ein:

Musik hört auf ein Selbstzweck zu sein, und wird kurzerhand zum Geschäftsmodell erklärt, in dem der eine Musiker mehr oder weniger verkauft als die Andere.
Der weibliche Körper hört auf ein Körper zu sein, eine schlanke Silhouette wird kurzerhand zur Werbetafel der neuen Hose erklärt.

Und das besagte Klopapier?
Ja, das besagte Klopapier wird kurzerhand zum neuen Verkaufsschlager der kolumbianischen Kartelle erklärt. Wieder heißt es: Die Hauptsache ist und bleibt mein eigener Vorteil. Der Coronavirus bringt sehr viele Gefahren mit sich, und doch hält er uns einen Spiegel vor die Augen.

Quellen und Lesetipps, u.a:

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